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Die Bio-Querdenker vom Mehringdamm

Seit 14 Jahren betreibt die LPG-Bio Markt in Berlin vier Filialen mit einem gigantischen Bioprodukte-Angebot. Mit dem breiten Sortiment und den grosszügig ausgelegten Ladenflächen schwimmen sie innerhalb der Branche gegen den Strom. Doch das Wohlfühlkonzept ist erfolgreich.

LPG Bio-MarktMehringdamm in Berlin Kreuzberg: In gelber Farbe leuchtet ein Gebäude inmitten von anonymen Häuserreihen, umzingelt von mehrspurigen Strassen. „LPG-Bio Markt“ steht da gross in grünen Lettern geschrieben. LPG? Die Abkürzung stand einst in der DDR für Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften. Da reibt sich der ausländische Besucher zuerst einmal die Augen und entdeckt dann in der zweiten Überschrift „Lecker, preiswert und gesund“. Das Wortspiel macht Lust auf mehr. Die grossen Einkaufswagen im „LIDL-Format“ am Eingang zeigen bereits an, dass hier mit grosser Kelle angerichtet wird. Der Duft im innern ist so, wie wir ihn aus den Reformhäusern kennen. Allerdings weniger intensiv, was vermutlich daran liegt, dass die Dimensionen des Ladenlokals deutlich grösser sind als in der Biobranche üblich. Fast schon gigantisch. Doch keine Hektik ist spürbar. Die Bereichsleiter der Abteilungen füllen die Regale auf, im Bistro trinken die Leute Kaffee, im Restaurant bereiten die Köche das Mittagessen vor.

Werner Schauerte und Ludwig Rieswick sind die Gründer und Inhaber der vier Berliner LPG-Bio Märkte. Die grössten Bio-Supermärkte in Europa, wie sie sagen. Entgegen aller Empfehlungen von teuer bezahlten Trendforschern und Detailhandelsexperten präsentieren die beiden in ihren Filialen mit 18’000 gelisteten Bioprodukten ein extrem breites Sortiment. Über ein Dutzend Geschmacksrichtungen von Ketchup zum Beispiel. Ein grosszügiges Bistro, Restaurant, Kinder- und Stillecken bedecken wertvolle Ladenflächen. Verschenktes Geld, würde jeder andere Supermarkt-Betreiber sagen. „Wir halten nichts davon, die Leute möglichst schnell durch die Gestelle zu schleusen“, erklärt Schauerte die Geschäftsphilosophie. Die Leute sollen sich wohl fühlen in den Filialen. Die Abstände zwischen den Regalen sind bewusst breit gehalten. Mit Ladenflächen von zwischen 600 und 1600 m2 bewegen sich die LPG-Ladenflächen deshalb deutlich über dem Durchschnitt. Der deutsche Verband der Bio-Supermärkte bezeichnet Geschäfte ab einer Ladenfläche von 200m2 als Bio-Supermarkt. Über 500 davon gibt es mittlerweile in Deutschland, alle bieten ein Bio-Vollsortiment an. Wie viele noch dazukommen werden, ist fraglich, denn seitdem grosse Ladenketten wie Aldi oder Lidl ein respektables Sortiment mit Bioprodukten anbieten, hat der Druck spürbar zugenommen. Vor allem im Bereich der Frischprodukte; es ist deshalb schon vorgekommen, dass am Samstag in den LPG-Filialen die Gurken fehlten.

LPG Bio-MarktObwohl das LPG-Geschäftsmodell in vielen Bereichen quer in der Landschaft liegt: Der Erfolg gibt den Gründern seit 14 Jahren recht. Der jährliche Umsatz beträgt nach eigenen Angaben 5000 Euro pro m2. Sie liegen damit in der Branche im oberen Bereich: „Der durchschnittliche Ertrag eines Bio-Supermarktes in Deutschland liegt zwischen 4000 und 5000 Euro pro Jahr“ sagt Kai Kreuzer von Bio-Markt.info. Mit 70 Läden ist Berlin das Mekka für Bio-Supermärkte in Deutschland. Und deren Filialleiter staunen, wenn sie in einem der LPG-Bistros Platz nehmen, um das Erfolgsrezept auszuspionieren. „Vertreter aller bekannten Biosupermarkt-Ketten waren schon da“, sagt Schauerte augenzwinkernd. Sie sehen Familien, die gemütlich durch den Laden spazieren. Ist etwas an einem Produkt unklar, – das soll vorkommen bei dieser Vielfalt –, fragen sie die für den Bereich zuständige Person und erhalten eine kompetente Antwort. „Bei uns stehen im Vergleich zur Konkurrenz deutlich mehr Mitarbeiter in den Filialen“, sagt Schauerte. Sie seien ordentlich bezahlt und mit viel Verantwortung ausgestattet. Nach einem Jahr Aushilfe beträgt der Lohn 8 Euro die Stunde. „Die Bereichsleiter entscheiden weitgehend selbst, welche Produkte in die Regale kommen. Die motivierten Mitarbeiter entwickeln eine hohe Fachkompetenz, die bei der Kundschaft gut ankommt.“

Grosses Sortiment, Wohlfühlatmosphäre, zufriedenes Personal. Beim Logistiksystem gelten aber nur betriebswirtschaftliche Kriterien: Es beruht auf dem Prinzip von Just-in-time-Lieferungen. „Wir haben praktisch kein Lager und sparen so Kosten“, erklärt Schauerte. Die Warenbestände werden jeden Tag elektronisch erfasst. Am Abend wird beim Grosshändler Terra Naturkost bestellt, in der Nacht angeliefert und am Tag im Geschäft verkauft. „Logistik ist das A und O in unserem Business!“ Während den warmen Monaten kommt 40 Prozent der Frischware aus der Region. Selbst beim ausgeklügelten Logistik-System bleibt immer Platz für Spezialitäten. Während der Kürbiszeit beliefert ein Bauer aus der Umgebung die Filialen mit vielen verschiedenen Sorten. Das kommt bei den Leuten gut an. Das Verhältnis zwischen Stadt und Land wird bewusst gepflegt.

Doch was macht LPG-Bio Markt, um die Kundschaft in die Läden zu bringen? Ökologie und Qualität ziehen zwar, doch wichtig ist auch der Preis. Und hier setzt das LPG-Rabattsystem an: Auf den Preisschildern sind nämlich immer zwei Preise aufgeführt. Die Bio-Milch kostet 90 oder 95 Cent. Der günstigere Preis gilt für die Stammkunden. Diese kaufen sich mit einem einmaligen Betrag von 51.13 Euro bei der LPG ein. Monatlich kommen pro erwachsene Person 17.90 Euro dazu, für Familien und Paare 20.40 Euro. Als Gegenleistung profitieren sie von den Rabatten in den Geschäften. Für Kartoffeln aus der Region bezahlt das Mitglied 2.49 Euro, der andere 50 Cent mehr. Auf der Mitgliederliste von LPG stehen mittlerweile 11’000 Kunden, darunter viele Familien. Ab einem wöchentlichen Einkauf von 20 Euro lohnt sich die Mitgliedschaft.

Und noch etwas: Bei LPG stehen Parkplätze zur Verfügung. Das führte in der Startphase vor 15 Jahren zu einem Aufschrei in der damals noch idealistisch geprägten Berliner Bio-Szene: „Bei uns brauchen die Leute keinen Heiligenschein, um ökologische Produkte zu kaufen“, sagt Schauerte dazu. Ihr unverkrampftes Verhältnis zur Branche kommt den Quereinsteigern entgegen. Vor der Gründung des ersten kleinen Ladens im Jahr 1994 hatten sie nie etwas mit Bio zu tun. „Unser Laden war der erste Bioladen, den ich betrat,“ sagt Schauerte. Vom Rabattsystem erfuhren sie per Zufall aus einem Gespräch am Nebentisch in der Stammkneipe. Schon am nächsten Tag fuhren sie nach Kiel um besagtes Lokal zu besuchen: Die Idee war geboren. Die etablierten Läden und die Händler boykottierten den Billig-Anbieter zuerst. Erst ein Urteil des Kartellamtes sorgte dafür, dass die LPG-Bio Märkte von Lieferanten und Grosshandel regelmässig bedient wurden.

LPG Bio-MarktDas Rabatt-System macht die LPG-Bio Märkte unabhängig von Banken. Die beiden Betreiber entscheiden selbst über das Entwicklungs-Tempo: „Wir wollen nur so schnell wachsen, wie es die Eigenkapitalquote zulässt. Mit vier Filialen in 15 Jahren wachsen wir im Schneckentempo“, lächelt Schauerte. Das Wachstum verläuft zwar auf tiefem Niveau dafür aber seit Jahren konstant. Neue Filialen sind keine geplant. Zum Vergleich: Konkurrent BioCompany eröffnete in den letzten 10 Jahren 24 Filialen. „LPG ist ein Berliner Phänomen“, sagt Branchenkenner Michael Radau, Leiter von 14 Filialen der SuperBioMarkt AG in Nordrhein-Westfalen und Vorsitzender des Verbandes der Bio-Supermärkte. Er hat Respekt vor dem Erfolg der LPG-Leute. Das LPG-Modell sei ausserhalb von Berlin mehrmals kopiert worden, allerdings ohne Erfolg. Radau hat Zweifel, ob das LPG-Konzept auch in ein paar Jahren noch Erfolg haben wird: Mit den grossen Ladenflächen und den hohen Personalkosten seien sie anfällig auf Kostensteigerungen. Und trotz Bio-Boom in Deutschland forderte die zunehmende Konkurrenz bereits erste Opfer. Der national tätige Biosupermarkt-Filialist Basic beispielsweise musste bereits einige Filialen schliessen. Die Zukunft gehöre den regionalen Filialisten, ist Radau überzeugt, alleine schon aus logistischen Gründen. Flächen zwischen 500 und 800m2 und ein Vollsortiment von 6’000 Bioprodukten seien ideal, um eine Filiale rentabel zu betreiben, sagt Radau. In den vergangenen Jahren sind in Deutschland 11 Bio-Ketten entstanden mit bis zu 14 Bio-Supermärkten. Und wie sieht es in der Schweiz aus? Nur gerade drei Läden – Vatter in Bern, Rägeboge in Winterthur und Yardo in St.Gallen –, verdienen überhaupt die Bezeichnung Bio-Supermarkt. Mehr werden es so schnell nicht werden. Denn die eigentlichen und allmächtigen „Bio-Supermärkte“ heissen bei uns Coop und Migros. Und an denen führt so schnell nichts vorbei.

www.lpg-biomarkt.de

Der Artikel ist im April 2009 in der Schweizer Fachzeitschrift HANDEL HEUTE erschienen.

Veröffentlicht in Blog

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