Die Gemüseproduzenten verlangen, dass die Analyselabors und Kantonschemiker nur noch Wirkstoffe nachweisen sollen, die in einer Menge von mehr als 0,01 Milligramm pro Kilogramm vorkommen. Die Kantonschemiker wiederum fordern einen gesetzlich festgelegten Summengrenzwert
bei den Mehrfachrückständen.
Was ich nicht weiss, macht mich nicht heiss! Aber wehe wenn. Zum Beispiel wenn Hightech-Analysegeräte immer genauer arbeiten und dank immer besserer Messtechnik in einer Gemüseprobe problemlos über 400 Wirkstoffe in kleinsten Spuren nachweisen können. In einigen Fällen könne kein Fruchtwechsel mehr betrieben werden, weil Substanzen aus der Vorkultur im minimalen Messbereich in der stehenden Kultur ohne entsprechende Zulassung für den Stoff gefunden werden, sagte der Deutsche Gemüseproduzent Rudolf Behr kürzlich im Fruchthandel Magazin. Dank den modernen Analysegeräten bleibt also kaum mehr ein Stoff unentdeckt. Das ist gut für die Konsumentinnen und Konsumenten und liegt deshalb auch im Interesse der Gemüseproduzenten. Diese haben sich mit dem System arrangiert: Die gesetzlich festgelegten Toleranzwerte von Wirkstoffen wurden in der Schweiz in den letzten Jahren nur in wenigen Fällen überschritten.
Angst vor Altlasten
Üblicherweise wird es erst ab einem nachgewiesenen Wert von 0,01 Milligramm eines Wirkstoffes pro Kilogramm Probe überhaupt ernst für die Gemüseproduzenten. Trotzdem tauchen auf den Listen der Labors mit den Analyse-Resultaten aber auch längstens verbotene Insektizide wie DDT auf, selbst wenn sie in deutlich tieferen Gehalten nachgewiesenen werden. Mit Folgen für die Anbauer: «Wenn solche verbotenen Altlasten selbst nur in geringsten Mengen in Proben auftreten, weisen wir den Produzenten darauf hin, dass er Massnahmen ergreifen muss, um das Problem zu beheben», sagt Petra Sieghart vom Qualitätskontrolldienst Qualiservice. In schweren Fällen sind Kulturenumstellungen oder gar Flächenstilllegungen nötig. Reagiere ein Produzent nicht, könnten die Toleranzwerte in Folgekulturen überschritten werden, die den Stoff besser aufnehmen würden. Sieghart fühlt sich verpflichtet, ihre Kunden auf Altlasten hinzuweisen. «Die Produzenten müssen doch wissen, wenn etwas in ihren Böden nicht gut ist!» Diese andererseits fürchten sich natürlich davor, unverschuldet für die Sünden früherer Generationen den Kopf hinhalten zu müssen. Gemüseproduzent Hans Graf aus Oberriet SG zweifelt am Vorkommen von wirklich gesundheitsgefährdenden Mengen solcher Altlasten in den Böden. «Als erstes würde ich bei einem Nachweis eine Nachprobe verlangen», sagt der Präsident der Arbeitsgruppe für den ÖLN Gemüsebau (Sagöl). Ihm ist insbesondere der Messwahn der Kantonschemiker ein Dorn im Auge: «Wir werden uns beim Bundesamt für Gesundheit dafür einsetzen, dass sie und die Labors in ihren Analysen künftig nicht tiefer als auf die üblichen 0,01 Milligramm pro Kilogramm gehen dürfen.»
Mehrfachrückstände: Viel Lärm um nichts?
Ins gleiche Kapitel gehört das Thema Mehrfachrückstände von Wirkstoffen in Gemüse. Obwohl gesetzliche Grundlagen fehlen, haben die Abnehmer die Anforderungen an die Gemüselieferanten seit ein paar Jahren stark erhöht. Das mittlerweile in der Branche etablierte SwissGAP-Rückstandsmonitoring arbeitet mit einer maximal zugelassenen Anzahl Wirkstoffe, die je ab einem Wert von 0,01 mg/kg in einem Produkt gleichzeitig vorkommen und nicht überschritten werden darf. Immer mehr Gemüseproduzenten bekommen heute deshalb zittrige Hände, wenn sie einen Wirkstoff einsetzen. Selbst wenn sie die gesetzlich festgelegten Toleranzwerte um ein mehrfaches unterbieten, kann es nämlich sein, dass sie in einer Kontrolle hängen bleiben weil ein Analysegerät eine Spur eines Wirkstoffes zu viel nachweist. Trotzdem sei die Angst der Schweizer Gemüseproduzenten unbegründet: «Die Anzahl Beanstandungen bei den Mehrfachrückständen liegt im tiefen einstelligen Prozentbereich und hat im letzten Jahr sogar noch abgenommen», sagt Petra Sieghart. Hans Graf sieht das ähnlich: «Nur grobe Verfehlungen bei der Anwendung eines Wirkstoffes führen in der Praxis wirklich zu Problemen.»
Die Faust im Sack machen
Alle in der Branche wissen, dass die Regelung für die Mehrfachrückstände mehr auf psychologischen als auf wissenschaftlichen Überlegungen beruht. Sie ist die Folge der in Deutschland vor ein paar Jahren emotional geführten Debatte über die gesundheitliche Gefahr von Mehrfachrückständen in Lebensmitteln. Die sachliche Diskussion ist inzwischen fast nicht mehr möglich. Handel und Produktion machen deshalb lieber die Faust im Sack und hoffen, dass die Diskussion um die Mehrfachrückstände nicht neu in den Medien aufflammt. Doch dies sei bereits der Fall, sagt Gemüseproduzent Roland Stoll aus Yverdon. Berichte in Konsumentensendungen wie «À bon entendeur» in der Westschweiz oder dem deutschsprachigen «Kassensturz» in den letzten Wochen hätten gezeigt, dass über das Thema Mehrfachrückstände von Wirkstoffen in Lebensmitteln weiterhin nicht sachlich berichtet werde.
Summengrenzwert gäbe Probleme
«Kein Problem für verantwortungsvolle und korrekt arbeitende Produzenten» sieht der Berner Kantonschemiker Otmar Deflorin in den Analysengeräten, die immer mehr Wirkstoffe nachweisen können. Sowieso sei ja eigentlich bei den Rückständen vor allem die Importware problematisch und nicht die einheimischen Gemüse. Deflorin forderte in der TV-Sendung «Kassensturz» einen gesetzlichen Summengrenzwert für Mehrfachrückstände. Dabei würden die prozentualen Anteile der Toleranzwerte der nachgewiesenen Wirkstoffe aufaddiert. «Es ist immer die Frage, wie Pestizide untereinander reagieren und welche toxikologischen Effekte entstehen», sagt Deflorin auf Anfrage. Und das wisse man leider zurzeit noch nicht. Als oberste Hüter der Volksgesundheit fordern die Kantonschemiker deshalb mit dem Summengrenzwert vorsorglich eine gesetzliche Regelung. Petra Sieghart warnt davor, zusätzlich einen Summengrenzwert zu verwenden, wie das Deflorin fordert. Man müsste sich auf ein System festlegen und sicher nicht beide gleichzeitig verlangen. «Das würde die Anwendung in der Produktion unnötig erschweren.» Es wäre zudem kontraproduktiv zu einer sinnvollen Resistenzstrategie. Otmar Deflorin zeigt sich kompromissbereit: Obwohl er das SwissGAP-System nicht im Detail kenne, könne er sich auch vorstellen mit diesem zu arbeiten. Ihm sei einfach wichtig, dass das Thema Mehrfachrückstände in der Schweiz endlich gesetzlich geregelt werde.
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