In Hinwil ist in den letzten Monaten das erste Gewächshaus erstellt worden, das mit Abwärme von einer Kehrichtverbrennungsanlage geheizt wird. Im 4 Hektaren grossen Glashaus sollen künftig täglich 20’000 Gurken für den Schweizer Markt geerntet werden.
Was hat ein Kehrichtsack mit einer Gurke zu tun? Mehr als man denkt: In Hinwil wachsen seit kurzem Gurken in einem Gewächshaus, das ausschliesslich mit Abwärme der benachbarten Kehrichtverbrennungsanlage Zürich Oberland (Kezo)geheizt wird. Mit dieser besonderen Art von Symbiose betreten die beiden Gemüseproduzenten Fritz und Markus Meier europaweit Neuland. Die Dimensionen sind für den schweizerischen Gemüsebau speziell: Mit einer Fläche von 4 Hektaren zählt das «Gurkenhaus» von Hinwil zu den grössten in der Schweiz. Ausgerüstet mit modernster holländischer Gewächshaustechnologie und einem israelischen High-Tech-Bewässerungssystem. Natürlich hat das alles seinen Preis: Rund 9 Millionen Franken wird die Anlage am Ende kosten. Obwohl das Glashaus noch nicht überall fertig gestellt ist, wachsen in einem Teil bereits die ersten Gurken. 13’000 Setzlinge wurden Anfang Mai in die Erde gepflanzt. Künftig sollen täglich 20’000 Gurken das Gewächshaus verlassen.
Auf die Zukunft ausgerichtet
Mit einem leisen Surren fährt Fritz Meier mit dem elektrisch betriebenen Erntewagen durch den mittlerweile gewachsenen imposanten Gurkenwald. «Heute haben wir die ersten Gurken geerntet», sagt er stolz. Der Spediteur wird die Ernte am Abend zum Hauptbetrieb nach Buchs ins Furttal führen. Dort baut die Familie Meier seit Jahrzehnten in grossem Rahmen Gemüse an, vorwiegend im Freiland. Seit Kurzem haben die beiden Brüder Fritz und Markus Meier die Führung des Betriebes von ihrem Vater und Onkel übernommen. Und das in einer Zeit, in der viele Gemüsebetriebe um ihre Zukunft bangen. Seit Jahren gilt in der Branche das Prinzip von «wachsen oder weichen». Oder man sucht sich eine Nische. Der Preisdruck und die Ansprüche der Lieferanten sind hoch. Zudem fürchten sich viele Gemüseanbauer vor der bevorstehenden Marktöffnung für ausländisches Gemüse. Mit Folientunnels oder Glashäusern versuchen viele Gemüseproduzenten die Anbausaison zu verlängern und damit ihre Marktposition zu verbessern. Ein entscheidender Faktor spielt dabei die Energie. Sind die Kosten für Heizöl oder Gas hoch wie vor einem Jahr, dann treibt das einen Gewächshausbetrieb schnell an den Rand des Ruins. «Ich bin überzeugt, dass die Energiepreise in den nächsten Jahren stark steigen werden», sagt Markus Meier. Für die beiden Brüder war deshalb klar, dass sie nach anderen Möglichkeiten suchen mussten. Die Frage lautete: Wo gibt es konstant überschüssige Wärme, die man günstig und dazu ökologisch sinnvoll für ein Gewächshaus nutzen könnte? Die Antwort führte sie zur Kezo nach Hinwil, wo sie auf offene Ohren stiessen. Obwohl die Betreiber mit der bei der Verbrennung von Abfall entstehenden Energie bereits Strom und Fernwärme erzeugten, gab es bisher immer noch einen Rest Abwärme, der ungenutzt über das Dach in die Luft entwich. Da kam das Gewächshausprojekt der Gebrüder Meier wie gerufen. Das neue Hinwiler Gewächshaus hat bereits das Interesse von anderen Kehrichtverbrennungsanlagen geweckt: «Vor allem aus Deutschland habe ich viele Anfragen für Betriebsbesichtigungen», sagt Kezo-Geschäftsführer Daniel Böni.
Schnelle Verwirklichung
Von der Idee bis zur Verwirklichung des Gewächshaus-Traumes dauerte es nur gerade 28 Monate: Das ist für Schweizer Verhältnisse ungewohnt schnell. Grosse Gewächshäuser haben sonst eher einen schweren Stand und stossen oft aus ästhetischen Gründen auf Widerstand. Nicht so in Hinwil. «Behörden und Bevölkerung standen von Anfang an hinter dem Projekt, wohl vor allem weil es ökologisch Sinn macht», sagt Markus Meier. Sogar mit den Landeigentümern konnten sie sich schnell einigen. Der Spatenstich erfolgte dann im letzten Sommer. Ende Juni nimmt das Gewächshaus nun seinen Betrieb ganz auf.
Effiziente Energienutzung
Im «Heizungsraum» stossen dicke Rohre aus dem Boden. Sie führen 45 Grad warmes Wasser von der Kehrichtverbrennungsanlage zum Gewächshaus. Diese relativ tiefe Vorlauftemperatur stellte die Ingenieure vor spezielle Anforderungen. Sie lösten es mit einem dichten Heizröhrensystem das über den Boden und unter das Dach des gesamten Gewächshauses führt. Der Energie-Schattierungsschirm unterhalb des Glasdachs sorgt dafür, dass es nicht zu heiss wird. In der Nacht und in kalten Monaten behält er die Wärme im Haus. Effizienter kann Energie in einem Gewächshaus kaum genutzt werden. Das Regenwasser fliesst von den Glashausdächern in grosse Auffangbecken. Das Wasser dient zur Bewässerung der Kulturen. Die Nutzung der bisher ins Freie verpufften Wärme der Kezo macht das Ganze zum Vorzeigeobjekt schlechthin. «Dadurch sparen wir rund 600’000 Liter Heizöl jährlich ein», sagt Fritz Meier. Zudem Sie sind jetzt unabhängig von unangenehmen Energie-Preisschwankungen: Das Nutzungsrecht der «Güsel-Wärme» haben sie sich für die nächsten 25 Jahren vertraglich gesichert, zu einem festgelegten Preis. Das ermöglicht ihnen in Sachen Energiekosten eine Planungssicherheit, die es sonst in der Gemüsebranche kaum gibt.
Arbeitskräfte aus der Region
Sechs Meter hohe Gurkenstauden werden sich bis im Herbst den Schnüren entlang bis unter das Dach emporwinden. Neben den Gurken sollen im Winter vor allem Kopfsalat und Nüsslisalat auf dem Erdboden wachsen. Fritz Meier hebt den Erntewagen hydraulisch sechs Meter in die Höhe: «Von hier oben können unsere Mitarbeiter ganz schnell und bequem die frischen Gurken ernten». Ganz rationell. Trotz langen Arbeitszeiten und relativ tiefen Löhnen – der gesetzliche Mindestlohn in der Landwirtschaft beträgt 3110 Franken pro Monat – sind die Arbeitsplätze im Hinwiler «Gurkenhaus» offenbar beliebt. «Täglich klopfen bei uns Leute an, die hier arbeiten möchten», sagt die ebenfalls noch ziemlich neue Betriebsleiterin Conny Griesheim. Das habe wohl mit der aktuellen Wirtschaftskrise zu tun. Die aus Thüringen stammende Gemüsefachfrau stellte so in kürzester Zeit ein Team mit über 20 Arbeiterinnen und Arbeiter zusammen. Alle aus der Region, viele davon waren zuvor arbeitslos. «Wir haben so ganz nebenbei 25 neue Arbeitsplätze geschaffen.» Alles sozial und ökologisch korrekt also. Doch die Gebrüder Meier denken schon weiter. Markus Meier hebt eine der frisch geernteten Gurken auf: «Eine Etikette <CO2-neutral produziert> auf dieser Gurke, das wäre doch was.»
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