Von der Delikatesse zum anonymen Massenprodukt. Dieser Weg scheint für viele Lebensmittel vorprogrammiert. Ein bekanntes Beispiel dafür ist der Lachs. Ganz ähnlich sieht es bei der Tomate aus. Einst aus Südamerika eingeführt, wo sie in tausenden von Variationen vorkam, ist sie zur runden Einheitstomate verkommen, die nur noch mit einer gehörigen Prise Salz oder Aromat geniessbar ist. Trotzdem ist sie beliebt: Jeder Schweizer und jede Schweizerin isst jährlich fast 10 Kilogramm davon. Tendenz steigend.
Renaissance von Coeur de boef
Während der Saison kommen die Tomaten aus Schweizer Gewächshäusern sonst aus Ländern wie Marokko, Spanien oder Holland. Geschmacklich sind sie aber alle etwa gleich. Die Tomaten-Züchter haben in den letzten Jahren vor allem auf Ertrag, Transportfähigkeit und Haltbarkeit gesetzt. Eigenschaften, die im Geschäft mit grossen Mengen gefragt sind. Auf der Strecke geblieben ist dabei die geschmackliche Seite. Das Problem wurde mittlerweile erkannt. In den Supermärkten sind wieder vermehrt aromatische Tomaten anzutreffen. Der Gemüseproduzent Paul Meier aus Rütihof AG beispielsweise produziert seit ein paar Jahren neben den Standardtomaten eine beachtliche Menge der grossfruchtigen und vielförmigen Ochsenherzen – auch bekannt als Coeur de boeuf. Doch entgegen dem eigentlichen Trend stagniert der Absatz. Meier hat eine Erklärung dafür: «Die Kundschaft verlangt immer ganz rote Ochsenherzen, in der fälschlichen Annahme, das sie so am besten schmeckten.» Doch in diesem Fall sei das eben falsch, und die Kundschaft deshalb oft enttäuscht: «Am besten sind Ochsenherzen, wenn sie noch ein bisschen grün sind», erklärt Paul Meier. Tomate ist eben nicht gleich Tomate. Das wissen Tomaten-Gourmets am besten. Und von denen gibt es offenbar immer mehr. Und sie wissen: Obwohl Tomaten seit Monaten in den Verkaufsregalen liegen, schlägt die Stunde der «wahren» Tomaten erst jetzt in der Sommerzeit
Zurück zu alten Sorten
Abseits der grossen Tomatenströme entwickelt sich eine Szene, die wieder vermehrt auf den Geschmack der alten Sorten setzt. In Hobbygärtnerkreisen ist es seit längerem wieder schick, «Berner Rosen», «Baselbieter Röteli» oder «die gelbe von Thun» anzupflanzen. Begeisterte und leidenschaftliche Freizeitgärtner und ein paar professionelle Gemüseproduzenten bilden das Rückgrat einer wachsenden Gemeinschaft von Tomatenliebhabern von Sorten der «alten Schule». Eine von ihnen ist Monika Fessler aus Hämikon LU.
Hoch über dem Baldeggersee steht das 68 m lange und12 m breite Gewächshaus. Die Bäuerin baut dort 80 Sorten Tomaten an. Fein säuberlich nummeriert stehen die rund 1800 Pflanzen dort seit Februar in Reih und Glied. Mit rosaroten, gelben, grünen und braunen Früchten verwandeln die Tomatenstauden das Gewächshaus in einen veritablen Wald. «Der Aufwand für die Aufzucht, Pflege, Ernte und Vermarktung der Tomaten ist ziemlich gross», sagt Monika Fessler. Ihr Mann arbeitet zu 100 Prozent als Treuhänder ausserhalb der Landwirtschaft. In seiner Freizeit sitzt der Bauernsohn dann aber gerne auf den Traktor um Gras zu schneiden, Dinkel zu ernten oder hilft beim Tomatenprojekt mit. Und dieses ist zugeschnitten auf den 8,5 Hektar kleinen Nebenerwerbs-Betrieb. Obwohl auch dieser rentieren muss, ist der kleine Bauernhof also nicht auf Gedeih und Verderben auf den Erfolg angewiesen, weil noch andere Erwerbszweige da sind. Ein ideales Umfeld für eine grosse Sortenvielfalt und Experimente. «Ich bin dauernd daran, neue Sorten zu testen und zu optimieren», sagt Monika Fessler.
Wochenmarkt und ab Hof
In diesen Tagen geht es los mit der Ernte. Und das Interesse an den unförmigen Tomaten ist bereits im Vorfeld gross:«Seit ein paar Wochen muss ich Kunden auf diesen Termin vertrösten», sagt Monika Fessler. Das Projekt «Hämiker Tomaten» hat mittlerweile Dimensionen angenommen, die eine professionelle Vermarktung nötig machen. Ein grosser Abnehmer ist der Innerschweizer Kulinariker Stefan Winiger. Er verkauft die Gourmet-Tomaten am Wochenmarkt in Luzern. Ein anderer Marktfahrer bietet die Tomaten in Zürich am Markt in Oerlikon an. Zudem beliefert sie verschiedene Restaurants in der Region und verkauft ihre frischen «Hämiker Tomaten» ab Hof. Hier sind sie besonders frisch.
Öffnungszeiten des Hofladens mit den «farbigen Hämiker Tomaten» in Hämikon LU: Juli bis Mitte Oktober jeweils Freitag, 17.00 – 19.00 Uhr und Samstag 9.00-12.00 Uhr oder auf telefonische Anmeldung: 041 917 48 13.
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