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MyFeld: Die absehbare Story des Scheiterns

Im Webshop des Start-ups myFeld konnte die Kundschaft ihr selbst ausgewähltes Gemüse anbauen lassen. Der Redaktor wollte sich ein realistisches Bild des Angebotes verschaffen und kaufte ein Abo. «Sein» Gemüse erhielt er dann aber nie.

MyFeld-Gründer Raphaell Schär noch optimistisch gestimmt.
MyFeld-Gründer Raphaell Schär noch optimistisch gestimmt. (Bildquelle: MyFeld)

Das virtuelle Gemüsefeld auf der Website von myFeld im Cartoon-Stil sieht ansprechend aus. Die Versprechungen sind sportlich:  Per Mausklick auf einem Feld von 16 Quadratmetern ein vielfältiges, individuelles Angebot aus bis zu 30 verschiedenen Gemüsen anbauen lassen. Also von Karotten, Tomaten, Auberginen, Kohlrabi über Kürbis, Gurken, Salat oder Blumenkohl alles auf dem gleichen, kleinen Feld. In den halbjährlichen Kosten von über 600 Franken inbegriffen sind die Heim-Lieferung des Gemüses. Und wie sich das in einer hippen Welt gehört, sollte ich dem Wachsen per Webcam zusehen können. Vor zwei Jahren tritt das Start-up MyFeld­ erstmals mit dieser Idee an. Die Firmengründer Raphaell Schär und Sara von Aesch erhalten mit ihrer Idee sofort viel Medienpräsenz. Doch, wer etwas von professionellem Gemüsebau versteht, der runzelt bei diesem Konzept die Stirn. Die Ansage der Firma, dass die Kundschaft damit günstiger zu Gemüse käme als beim üblichen Einkauf im Supermarkt und dazu erst noch etwas zur Lösung der Foodwaste-Problematik beitrage, lässt  zusätzlich aufhorchen. 

MyFeld-Gründer Raphaell Schär und Sarah von Aesch am diesjährigen WEF in Davos. (Bildquelle: Facebook)

Investorengelder aus TV-Sendung

Endgültig stutzig machen mich die mir von einer zuverlässigen Quelle zugesendeten Fotos von stark verunkrauteten MyFeld-«Anbauparzellen» im Jahr 2022, auf denen kein Gemüse mehr sichtbar ist. Ein Jungpflanzen-Produzent berichtet mir von mehrmaligen Nachbestellungen von Gemüsesetzlingen, weil diese im Feld eingingen. Erste negative Medienberichte über nicht gelieferte oder verschimmelte Ware machen bereits im ersten Jahr die Runde. Trotzdem bewirbt sich der Marketing-Fachmann Raphaell Schär und seine Truppe im letzten Jahr in der Sendung «Die Höhle der Löwen» auf dem TV-Sender 3+ erfolgreich um Geld und erhält prompt von zwei Investoren 375 000 Franken zugesprochen. Die Universität St. Gallen zeichnet MyFeld als «TopSwiss Retail Start-up 2022» aus. Am diesjährigen WEF in Davos darf Raphaell Schär zudem in einer Keynote über die «Missstände in der Landwirtschaft» sprechen, wie auf der  Facebook-Seite von myFeld steht. 

Das vom Autor im Frühling 2023 digital bestellte 16 m2 grosse Gemüsefeld. (Bildquelle Printscreen myfeld.ch)

Das sind nun für mich genug Gründe, in das Experiment einzusteigen: Ich ordere im März dieses Jahres eine bunte Vielfalt von verschiedenen Gemüsen aus konventionellem Anbau zum Preis von 610 Franken für ein halbes Jahr. Die Bio-Variante hätte 898 Franken gekostet.  Mein Plan: Die Lieferungen mit den Preisen der gleichen Gemüse vom Grossverteiler vergleichen und Ende Jahr Bilanz ziehen. Doch dazu sollte es nie kommen: Kein einziges Gemüse erreicht mich. Die Firma ist im September zahlungsunfähig. 

Schwierige Umsetzung in der Praxis

Marcel Villiger aus Fenkrieden AG baut 2021 als erster und einziger Landwirt im Auftrag von MyFeld Gemüse an. Der im Gemüseanbau unerfahrene Villiger richtet ein WLAN für die Webcams ein. Doch eine Kamera sei nie installiert worden, sagt Villiger. Und natürlich treten schon bald erste Probleme beim Anbau auf. Das in jenem Jahr ungünstige Wetter macht es nicht einfacher. Immerhin kann der Landwirt Raphaell Schär und seine Leute überzeugen, das Gemüse in Reihen anzupflanzen. Bei den Tomaten stellt er zum Schutz «Mini-Abdeckungen» hin. Wachsen tut trotzdem kaum etwas. Auf der Facebook-Seite von MyFeld erscheint in dieser Zeit ein Bild von einer gründlich missratenen Gurke. Dazu steht blumig: «Diese Gurke ist zu schön, so wie sie ist. Eigentlich macht es sogar mehr Spass «imperfektes» Gemüse zu essen…» In einem Artikel der Aargauer Zeitung im Frühling 2021 berichtet Schär stolz, dass MyFeld über 1000 Felder vermietet habe. Pro Monat wären damals so über 55 000 Franken zusammengekommen. Was damit angeschafft wird und welche Löhne damit bezahlt werden, ist unklar. Hilfe auf dem Feld habe er tatsächlich viel zu selten erhalten, sagt Villiger. Die Abonnentinnen und Abonnenten werden schliesslich für die ausgefallenen Lieferungen mit Gutscheinen abgespeist und auf die kommende Anbausaison vertröstet.

Facebook-Post im August 2021.

Zugekauftes Gemüse

Mit einem Wachstum von 150 Prozent, wie auf der Homepage steht, wird der Anbau ein Jahr später erneut in Angriff genommen. Aus den Fehlern im Vorjahr lernen die Leute von myFeld aber nur wenig. Immerhin wird in Fenkrieden ein Gewächshaus installiert für die heiklen Gemüsesorten. Solche sollten allerdings dann nie darin wachsen. Stattdessen geht es mit den Schwierigkeiten auf dem Feld weiter. Weil die Ernte nicht ausreicht, wird immer mehr Gemüse von extern dazugekauft. Mitarbeitende der sozialen Institution Stiftung Gärtnerhaus in Meisterschwanden verpacken das Gemüse auf dem Betrieb von Marcel Villiger. Es sei ein schöner Auftrag gewesen, sagt der Geschäftsleiter der Stiftung nachträglich auf Anfrage. Doch die Nachbarschaft beschwert sich immer häufiger über die zunehmenden Fahrten von Lieferwagen, welche das «fremde» Gemüse herankarren. Auch deshalb kündigt Villiger schliesslich die Zusammenarbeit mit MyFeld Ende 2022 auf. Womit die vermeintlich einzige «wirkliche» MyFeld-Parzelle weg ist.  Der Hauptlieferant – ein der Redaktion bekannter Gemüsebaubetrieb aus dem Kanton Aargau –, steigt ebenfalls aus, weil es am Schluss immer mehr ausstehende Rechnungen gibt. 

Doch MyFeld macht scheinbar unbekümmert weiter. Leute werden eingestellt und Anfang März wird die neue Plattform und damit der Schritt vom «Online-Gemüsegarten» hin zum «digitalen Bauernhof» vollzogen. Neu kann nicht nur Gemüse, sondern sogar der eigene Honig, Wein oder Hopfen für «sein» Bier gebucht werden.

Kundschaft mit E-Mails abgespeist

Mich als Abo-Kunde hält die Firma per E-Mail auf dem Laufenden. Dabei läuft es von Anfang an krumm: Nach Bezahlung des Abos höre ich zuerst einmal gar nichts. Nach fünf Wochen steht in meinem Account dann zu meinem Erstaunen plötzlich, dass mein Abo erst am 1. Oktober startet. Auf Nachfrage erhalte ich nach drei Wochen eine blumige Antwort: «Die meisten Gemüsesorten wurden nun bereits gepflanzt. Aktuell sind wir gerade noch dabei, unsere neuen Kameras an unser neues System anzubinden. Wir denken, dass wir dies in den kommenden zwei Wochen schaffen werden und die Arbeiten auf dem Bauernhof abschliessen können. Die ersten Lieferungen werden wir voraussichtlich in zwei Wochen ausliefern können. Kommt natürlich etwas darauf an, was du ausgewählt hast. Die Salate und Radieschen wachsen schon sehr schön.» 

Hinhalte-Taktik per E-Mail

Auf «mein» Gemüse warte ich aber weiterhin vergeblich. Dafür erhalte ich Ende Mai eine E-Mail, in der MyFeld den «vorübergehenden Ausfall der Sommersaison» bekannt gibt. Im ermüdend langen Text mit viel Blabla wird auf Finanzierungsprobleme in einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld hingewiesen und dass man auf der Suche nach Investoren sei, Crowd-Investing heisst nun das Zauberwort. Und: die Wiederaufnahme der Lieferungen sei ab dem 1. Juli geplant. Daran glaube ich mittlerweile aber nicht mehr, und forderte von MyFeld jetzt doch mein Geld zurück. Eine Antwort gibt es darauf keine. Zwei Wochen später schreibt MyFeld dafür in einer E-Mail, dass ein Investor gefunden sei. Mit weiteren fänden Gespräche statt, zum Schluss die Vertröstung auf eine baldige erste Lieferung. Das Misstrauen wächst. Am Telefon sagte mir der Geschäftsführer der Stiftung Gärtnerhaus, dass er seit Anfang Jahr nichts mehr von MyFeld gehört habe. Dafür erhalte er zunehmend Anrufe von der verärgerten Kundschaft. 

Ende Juni gibt MyFeld per E-Mail bekannt, «dass man die Verträge für eine Crowd-Investing-Kampagne unterzeichnet habe.» Der 1. August wird als neues Lieferdatum für das erste Gemüse angekündigt. Ernsthaft damit rechne ich aber nicht mehr. Viel mehr mit der Mitteilung, die dann Mitte September in meiner E-Mail-Box landet: «Trotz unserer intensiven Bemühungen sehen wir uns leider gezwungen, die Geschäftsaufgabe von MyFeld bekanntzugeben und in den kommenden Tagen unsere Bilanz zu deponieren.» 

Geschäftsidee funktioniert nicht

Nach dem Raphaell Schär auf mehrere Anfragen nicht reagiert, suche ich ihn im Oktober persönlich auf und treffe ihn zu meiner Überraschung im Technopark Aargau in Brugg an.  Das Büro ist bereits ziemlich leer. «Ich bin am Aufräumen», sagt er. Mitgründerin Sara von Aesch hat sich bereits offiziell verabschiedet, die zwei Mitarbeitenden wurden schon vorher entlassen. 

Auf meine kritischen Fragen antwortet Raphaell Schär besonnen. «Am Schluss hat es einfach am Geld gefehlt.» Die beim Crowdinvesting zusammen gekommenen 300 000 Franken hätten nicht gereicht, um den Betrieb weiterlaufen, respektive wieder aufnehmen zu können, erklärt er. Das sei eigentlich Schade, weil die Nachfrage vorhanden gewesen sei. Er betont zudem, dass bis März Gemüse ausgeliefert worden sei. 

Und dass dieses nicht von den auf der Website im Online-Shop suggerierten eigenen Parzellen stammte? Für ihn kein Problem. «Wir haben schon im letzten Jahr in unseren Newslettern transparent darüber informiert», sagt er. Eine  Umfrage habe zudem ergeben, dass sich die Kundschaft nicht daran störte. Für diese sei die Qualität und die Regionalität ausschlaggebend gewesen. Es sei eigentlich allen klar gewesen, dass es sich bei der «Bestellung der eigenen Parzelle» vor allem um eine spielerische Komponente gehandelt habe, deren strikte Umsetzung aber in der Realität nicht effizient gewesen wäre, erklärt Raphaell Schär zu meinem Erstaunen. Ein Anbau von eigenem Gemüse auf  den «eigenem» Parzellen der Kundschaft– wie auf der Homepage versprochen – sei  in diesem Jahr gar nicht mehr geplant gewesen. Schliesslich habe es sich im Vorjahr bewährt, dieses Gemüse beim Profi zuzukaufen, wo übrigens auch die Webcam über den Gemüsefeldern  installiert  gewesen sei. 

Raphaell Schär ist immer noch überzeugt, dass die Idee funktionieren würde, wie unter anderem das ähnlich konzipierte österreichische Format myFarm.at zeige. Aber letztlich sei bekannt, dass 80 Prozent der Start-Ups scheitern. Damit befindet er sich jetzt in guter Gesellschaft. Bei ihm übernimmt nun der Sachwalter das Zepter. Dieser wird entscheiden, ob ich mein Geld für das bestellte aber nie gelieferte Gemüse zurückerhalte. 

Veröffentlicht in Blog

6 Kommentare

  1. ja, es ist eben doch so, dass der Gemüsebau mit Arbeit und Könndn verbunden ist… ist ja himmeltraurig, dass sie dies nicht mal trotz so viel Geld nicht hinbekommen haben… und: es macht mich umso stolzer dass unser Betrieb mit dem Anbau und der Vermarktung funktioniert…

  2. geprellt und nicht zugestellt geprellt und nicht zugestellt

    Ich habe ein Jahresabo bei myfeld gekauft aber weder eine persönliche antwort per email auf anfragen noch ‚mein‘ eigentliches gemüse bekommen. Ich hätte mir mit den geld genau so gut aktuelle disney filme angucken können.

  3. Markus Markus

    Raphaell Schär ist ein bekannter Betrüger mit unzählig gescheiterten Start Ups. Hat in Grossfirmen gearbeitet und diese bestohlen. Und ja, ich kenne ihn persönlich.

  4. Anonymous Anonymous

    Den Kommentar von Markus kann ich bestätigen. Es gibt mehrere laufende Strafverfahren gegen Raphaell Schär.

  5. Andreas Andreas

    Jep, definitiv kein aufrechter Charakter. Habe auf anderem Weg mit seiner Art zu Arbeiten Kontakt gemacht und sage: Achtung! Eine Zusammenarbeit mit seinen Werten kommt nicht gut.

  6. Heidi Heidi

    Habe die beiden Geschäftsgründer soeben mit ihrer Idee in der Höhle der Löwen Schweiz gesehen.
    Habe sofort gesehen, das ist Gugus und eine fertige Schnappsidee!!! ….und konnte nicht begreifen, wie zwei Löwen doch tatsächlich gut CHF 300’000.- für 10% Anteile da reinstecken wollten. Die sind doch intelligent und bewandert Business?
    Dann nahm mich wunder ob mein Instinkt und meine Einschätzung als Leie richtig war, ich habe googelte und siehe da?! Tut mir leid für die Abonnenten, – überrascht war ich gar nicht.

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