Im luzernischen Grossdietwil produziert und vertreibt die Firma Biocontrol AG Bio-Pflanzenschutzmittel als Alternative zur Chemiespritze. Bauern, Imker und Hobbygärtner bilden die Kundschaft.
Wurmstichige Äpfel in Verkaufsregalen sind heute selten. Beim frisch ab Baum gepflückten Apfel passiert es noch eher, dass einem ein weisses Würmchen entgegentänzelt. Oft handelt es sich dabei um die Raupe des Apfelwicklers, einem der am meisten gefürchteten Schädlinge im Obstanbau überhaupt. Viele Obstbauern greifen beim Befall zur Chemiespritze. Doch es gibt eine andere Möglichkeit, den Schädling zu bekämpfen: Mit dem Apfelwicklergranulosevirus, einem natürlichen Feind. Der 49-jährige Agronom Martin Andermatt hat vor 20 Jahren damit begonnen, das Virus unter dem Produktenamen Madex für den kommerziellen Gebrauch zu züchten. Mit Erfolg. Heute vertreibt Martin Andermatt mit seiner Firma Biocontrol AG das Produkt weltweit und ist in der Schweiz der führende Anbieter von biologischen Insektenschutzmitteln.
Erstmals in Praxis angewendet
Für sich entdeckt hatte Andermatt das Virus während seiner Diplomarbeit an der ETH: „Zu meiner Überraschung gab es bereits ausreichend Literatur zum Thema. Praktisch alles war schon beschrieben!“ Nur in die Praxis umgesetzt wurde es nie. Das erstaunte Andermatt, denn er wusste, wie vor allem die Biobauern mit dem Apfelwickler zu kämpfen hatten. Doch darin lag gerade der Grund, dass sich niemand dafür interessierte: Das Marktpotential war zu gering. Als er zusammen mit seiner Frau Isabel Andermatt an einem Tag der offenen Tür an der Forschungsanstalt Wädenswil auf die zuständige Person bei der Bewilligungsbehörde für Insektizide traf, passierte es. Dieser ermunterte ihn, ein Dossier für die Bewilligung des Produktes einzureichen. Das tat Andermatt, die Zulassung erfolgte. Erstmals überhaupt wurde 1987 mit Madex ein Granulosevirus-Produkt registriert. Nun ging es darum, die Nische zu besetzen. Ein schwieriges Unterfangen, denn die finanziellen Mittel waren sehr eingeschränkt. Doch die Andermatts blieben beharrlich. Sie hielten am Ziel fest: Sie wollten biologische Alternativen zu den chemischen Pflanzenschutzmitteln zur Verfügung stellen.
Die Firma Andermatt Biocontrol wurde vor 20 Jahren im Zürcherischen Oberglatt gegründet. Dort begann Andermatt mit seiner Frau die Viren „in Vivo“ zu züchten. Dabei werden die Raupen künstlich mit dem Virus infiziert, das sich dann Millionenfach weitervermehrt. „Ein sehr einfaches und ungefährliches Verfahren“, sagt Andermatt. In der Anfangsphase waren es vor allem die Biobauern, die dem Produkt Madex zu den ersten Erfolgen verhalfen. Auf die Äpfel aufgesprüht lag die Erfolgsquote bei sagenhaften 97 Prozent. Die Wachstumsphase der Biocontrol AG wurde damit eingeleitet. Bereits nach zwei Jahren zog die Firma nach Grossdietwil ins Luzerner Hinterland. Dort konnten sie ein ehemaliges Bauernhaus für ihre Zwecke umbauen und einrichten. Moderne Geschäftsgebäude haben das Bauernhaus von einst längstens abgelöst. Mehrere Ausbauetappen dokumentieren das Wachstum der Firma eindrücklich. Heute arbeiten in Grossdietwil 67 Leute, viele darunter Ingenieure.
Das Sortiment wurde laufend erweitert. Und von der Wirksamkeit sind viele Bauern überzeugt, nicht nur die Biobauern. „80 Prozent unserer Kunden stammen heute aus der konventionellen Landwirtschaft“, sagt Andermatt stolz. Die Diskussionen um Rückstände von Spritzmitteln in Deutschen Lebensmitteln haben sich positiv aufs Geschäft ausgewirkt. Die Suche nach Alternativen führt die Bauern immer öfters nach Grossdietwil. Der kleine Ort hat sich zum Mekka des biologischen Pflanzenschutzes entwickelt.
Aufwändige Bewilligungsverfahren
Obwohl Madex immer noch das Hauptprodukt der Firma ist, stehen heute unter anderem auch viele Nützlinge und Nematoden im Angebot. Nematoden sind winzige Würmchen, die beispielsweise gegen den gefrässigen Dickmaulrüssler oder Schnecken eingesetzt werden. Hummel-Völker kommen in Gewächshäusern zum Bestäuben von Gemüse zum Einsatz. Verwirrtechnik, Fungizide, Insektizide und Dünger sind weitere Produktgruppen. Alles auf biologischer Basis. Viele der erwähnten Produkte sind Handelsprodukte, die Biocontrol von Herstellern aus der ganzen Welt bezieht. Die Kernkompetenz liegt weiterhin bei der eigenen Produktion von Insektenviren und Nematoden. „Den grössten Teil davon exportieren wir“, sagt Andermatt. Zum Beispiel das Viruspräparat Cryptex nach Südafrika zur Bekämpfung des falschen Apfelwicklers, einem stark verbreiteten Schädling in Zitruskulturen. Eigentlich wäre Andermatt voller Tatendrang. „Ich habe viele mögliche neue Produkte im Kopf .“ Doch im Weg steht ein Apparat von Bewilligungsbehörden, die immer mehr Unterlagen verlangen. Ein Bewilligungsverfahren für ein Pflanzenschutzmittel – auch für biologische- dauert rund fünf Jahre. Für jedes Land muss ein neues Dossier eingereicht werden. Das kostet viel Geld. „Beim ersten Dossier für Madex vor 20 Jahren reichten noch 200 Seiten. Heute würde es für das gleiche 7000 Seiten brauchen“, sagt Andermatt.
Doch das Unternehmen wächst trotzdem weiter. Vor fünf Jahren sind mit der Biogarten AG und BioVet AG zwei Schwesterunternehmen dazugekommen. Beides sind ausgelagerte Handelsfirmen. BioVet handelt vor allem mit biologischen Imkereiprodukten. Die zweite Firma richtet sich mit Haus- und Gartenprodukten an Private. Das Sortiment reicht von Schneckenzäunen, Marienkäferlarven zur Bekämpfung von Blattläusen bis zum Aufzuchtset für Schmetterlinge. Und für Hobbygärtner besonders interessant sind die biologischen Schneckenkörner.
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