Zum Inhalt springen →

Welche Zukunft hat der Codex Alimentarius? (SVIAL-Journal, 24.10.2007)

Der Codex Alimentarius hat den weltweiten Handel mit Lebensmitteln sicherer und einfacher gemacht. Kritiker beschweren sich aber über die Schwerfälligkeit und Intransparenz der Organisation.

Codex Alimentarius: Milchproduktion

Was ist Mineralwasser? Frisches Wasser aus der Quelle, abgefüllt in einer Flasche. So würden die meisten Schweizerinnen und Schweizer vermutlich auf diese Frage antworten. Doch was stellt sich ein Inder oder ein Chinese unter Mineralwasser vor? Wasser aus dem Ganges oder Jangtse vielleicht. Hier wird sichtbar: In einer Welt, in der Lebensmittel über den ganzen Planeten verschoben werden, braucht es Standards. Beim Mineralwasser und bei vielen anderen Lebensmitteln bestehen solche Standards weltweit. Den Rahmen dazu bietet der Codex Alimentarius.

Ziel des Codex Alimentarius ist es, mit einer Reihe von Standards für Lebensmittel und Lebensmittelsicherheit die Gesundheit der Konsumenten zu schützen und faire Geschäftsmethoden im Lebensmittelhandel zu schaffen. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO und die Weltgesundheitsorganisation WHO gründeten den Codex Alimentarius vor über 40 Jahren. 172 Länder und die Europäische Union sind Mitglieder des Codex Alimentarius. Sie beteiligen sich seither an der Entwicklung der Standards. Diese dienen oft als Grundlage von nationalen Lebensmittelgesetzen in Ländern, die vorher keine solchen Gesetze kannten. „Nicht jedes Land hat ein Lebensmittelgesetz, wie es bei uns in der Schweiz selbstverständlich ist“, sagt Urs Klemm, ehemaliger Vizedirektor des Bundesamts für Gesundheit (BAG). Er ist so etwas wie der „Mister Codex Alimentarius“ der Schweiz. Er war 10 Jahre lang Präsident des Schweizerischen Nationalen Komitees des Codex Alimentarius und in den letzten vier Jahren Vorsitzender dieses Komitees für ganz Europa. Klemm wurde im Januar in Vilnius (Litauen) als Chairman des Komitees mit allen Ehren verabschiedet. Seit diesem Frühling ist er pensioniert, doch der Codex Alimentarius ist seine Leidenschaft geblieben. Er engagiert sich deshalb weiterhin als Berater. „Die Gremien des Codex Alimentarius sind die ideale Plattform, um mit Vertretern aus anderen Ländern Probleme der Lebensmittelsicherheit zu diskutieren“, sagt Urs Klemm.

Fehlende Transparenz

Doch die Institution hat ein Problem: Für Aussenstehende ist nur schwer ersichtlich, was die Kommission und die Komitees des Codex an ihren Sitzungen besprechen und beschliessen. Die mehrstufigen Entscheidungsprozesse dauern oft mehrere Jahre und erscheinen deshalb langatmig. Das liegt vor allem daran, dass die Entscheide auf Konsens beruhen. Erst wenn alle Delegationen der Länder mit einem Beschluss einverstanden sind, kommt es zum Abschluss. Abstimmungen sind die Ausnahme.

Die mangelnde Transparenz der Codex-Alimentarius-Gremien erzeugt Misstrauen. Der Thurgauer

 

Das Nationale Komitee der Schweiz des Codex Alimentarius

Das Komitee ist eine ausserparlamentarische Kommission und besteht aus 11 Mitgliedern, die vom Bundesrat gewählt werden. Vertreten sind Kreise aus Konsum, Landwirtschaft, Lebensmittelproduktion, Handel, Behörden und Wissenschaft. Das Komitee trifft sich zweimal im Jahr um Tätigkeiten in den Codex-Committees und Fragen der Lebensmittelsicherheit zu klären. Einzelne Untergruppen tagen, um unter Einbezug interessierter Kreise die Haltung bei den verschiedenen Komitees und anderen Arbeitsgruppen zu erarbeiten. Die Schweiz leitet beziehungsweise leitete die Codex-Committees „Natural Mineral Water“, „Cocoa Products and Chocolate“ sowie „Soups and Broths“.

Ständerat Philipp Stähelin machte im letzten Herbst im Parlament eine Anfrage, in der er vom Bundesrat Informationen über die Arbeit des Schweizerischen Codex-Alimentarius-Komitees verlangte. „Mir scheint, dass das Personal in diesen Komitees und Delegationen etwas gar hoch bestockt ist“, sagt der Ständerart auf Anfrage. Man müsse sich schon fragen, ob es normal sei, wenn die Schweizer Delegationen grösser als die der USA oder der EU seien. Obwohl Stähelin die Bedeutung der Codex Alimentarius für die Lebensmittelsicherheit grundsätzlich anerkennt, sieht er beim Nationalen Komitee Möglichkeiten, um Mittel einzusparen. Urs Klemm stellt richtig, dass die Delegationen der Schweiz knapp dotiert und eher mit denen des Konferenz-Nachbarn Swaziland zu

vergleichen seien. Er warnt vor Einsparungen. Nur durch die aktive Mitarbeit in diesen Gremien könne die Schweiz zum Beispiel Einfluss auf die Lebensmittel-Gesetzgebung in der EU ausüben. „Wo sei es denn heute noch möglich mit EU-Vertretern auf gleicher Augenhöhe zu diskutieren?“ fragt Klemm rhetorisch. Weil die Schweiz immer mehr EU-Recht lückenlos übernehmen müsse, seien solche Gespräche im Vorfeld der Ausgestaltung von Gesetzen besonders wichtig.

Wissenschaftlich abgestützte Normen

Trotzdem fragen sich die Kritiker natürlich, wie zeitgemäss ein so schwerfälliger Apparat in der schnelllebigen Zeit noch ist. Kommt dazu, dass die im Codex Alimentarius enthaltenen Normen rechtlich nicht allzu verbindlich sind. Zahlreiche private Organisationen setzen heute viel schneller eigene Standards. Urs Klemm warnt aber davor, dass der Einfluss der Politik und Wirtschaft auf die Lebensmittelsicherheit zu gross wird. „Es ist sinnvoll, eine Institution zu haben, die Normen aufgrund von wissenschaftlich abgestützte Daten festlegt und die Entwicklungsländer einbezieht“, betont Urs Klemm noch einmal die Bedeutung des Codex Alimentarius. Man dürfe zudem nicht vergessen, dass viele Länder praktisch kein Lebensmittelrecht kennen und sich deshalb sehr eng am Codex orientierten. Wenn ein Entwicklungsland Produkte exportieren wolle, dann wisse es unter anderem dank dem Codex, was in anderen Ländern verlangt werde. Aber auch Klemm sieht ein, dass sich die Organisation bei der Transparenz und der Effizienz verbessern muss, um nicht von privaten Standards „rechts überholt“ zu werden.

Quasi als letzte Amtshandlung hat Klemm zusammen mit anderen Komitee-Mitgliedern ein Strategiepapier zur Zukunft des Nationalen Komitees ausgearbeitet. In der Vernehmlassung bekannten sich Konsumentenorganisationen, Handel, Lebensmittelindustrie, Landwirtschaft, Wissenschaft und die beteiligten Behörden eindeutig zum Codex. Sie unterstrichen damit dessen Bedeutung einen Welthandel in einem geregelten Umfeld. Doch Urs Klemm weiss, dass die künftigen Tätigkeiten des Komitees eng mit dem Engagement der beteiligten Personen verbunden sind. „Die Lebensmittelsicherheit hat weltweit dank des Codex in den letzten Jahren deutlich zugenommen, auch dank der aktiven Mitarbeit der Schweiz“, sagt Klemm. Er würde es deshalb sehr bedauern, wenn die Schweiz nun nur noch eine passive Rolle spielen würde.

www.codexalimentarius.net
www.ursklemm.ch

Veröffentlicht in Blog

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Sie wollen mich persönlich kennenlernen?

eppenberger-media gmbh
David Eppenberger
Winkelstrasse 23
CH-5734 Reinach AG
Fon ++41 (0)62 771 02 91
Mobile ++41 (0)78 779 17 19
info@eppenberger-media.ch
MwSt-Nr. CHE-114.677.787