Martin Keller ist seit vielen Jahren auf den Seeländer Gemüsefeldern unterwegs. Er beobachtet dort die Kulturen, und gibt den Gemüsebaubetrieben rechtzeitig Bescheid, falls Unheil durch Schädlinge oder Krankheiten droht.

Martin Keller überprüft mit der Gelbfalle, ob und wie viele Möhrenfliegen unterwegs sind.
Martin Keller kennt die Flugkurven der Möhrenfliege. Vor über 25 Jahren stellte er die ersten Gelbfallen in Karottenfeldern im Seeland auf. Schon etwas länger ist er Geschäftsführer des Beratungsrings Gemüse mit Sitz in Ins. In 199 Parzellen mit Karotten sind an diesem Tag Mitte August bei der Kundschaft Fallen platziert. «So viele wie sonst nie während der Saison», erklärt der Berater. Er stoppt sein «Feldauto» vor einem Rüeblifeld und winkt den Vorbeifahrenden zu. Man kennt ihn hier. Jetzt in den Sommer- und Lagerrüebli sei die Überwachung und die frühzeitige Erkennung eines Befalls besonders wichtig. Einmal pro Woche klappert er oder seine Mitarbeitenden die Fallen in der Region ab. Wie von ihm bereits vermutet, klebt dort an diesem Tag keine Möhrenfliege. Für ihn ist der Grund klar: «Die zweite Generation ist abgeschlossen.» Nun gehe es darum, die dritte Generation frühzeitig zu erkennen. Der Befund geht noch am selben Tag per Mail oder SMS an die Kundschaft. Der Beratungsring betreut und berät über 350 Betriebe in den Kantonen Bern, Fribourg und Solothurn, vornehmlich im Gemüsebau.
Parzellengenaues Monitoring lohnt sich
Weshalb ist ein Betrieb bereit, für das aufwändige Möhrenfliegen-Monitoring extra zu bezahlen? Schliesslich könnten sie einfach gemäss regionalem Warndienst oder den Gemüsebau-Infos von Agroscope präventiv mit der Spritze durch die Dämme fahren. Darauf spricht die Jahrzehntelange Erfahrung aus Martin Keller: «Um einen befallenen Bestand nur mit regionalen Informationen von der Möhrenfliege freizuhalten, sind wöchentliche Spritzungen nötig.» Der Aufwand werde so viel grösser. Mit parzellenbezogenen Kontrollen seien hingegen gezielte Massnahmen möglich. Neben einer nicht befallenen Fläche könne 200 Meter nebenan eine mit Befall stehen. «Selbst während der maximalen Flugzeit empfehlen wir deshalb nur auf etwa 30 Prozent der Parzellen eine Spritzung.» Die langjährige, treue Kundschaft spreche dafür, dass sich der Aufwand für ein solches Monitoring für die Betriebe auszahle.
Schädlinge treten in Zyklen auf
Es geht weiter auf der Fahrt zu einem Rosenkohlfeld, einem besonderen Problemkind aus Sicht des Pflanzenschutzes. «Mit seiner langen Standzeit ist er über kurz oder lang praktisch jedem Schädling ausgesetzt», erklärt Martin Keller. Mit dem andauernden Rückzug von Wirkstoffen sei es inzwischen sehr schwierig, solche Kulturen überhaupt noch sauber durchzubringen. Beim Rosenkohl steht die Weisse Fliege besonders im Fokus. Martin Keller stülpt sich einen Gummihandschuh über die linke Hand. «Wir wissen jeweils nicht, ob die Kultur gerade behandelt worden ist.» Er als Berater liefert vor allem Daten, Befunde und eher zurückhaltend Empfehlungen. «Das Handeln liegt in den Händen des Betriebsleiters oder der Betriebsleiterin.» In diesem Fall hat dieser offenbar vieles richtig gemacht, weisse Fliegen sind kaum vorhanden. Martin Keller stellt sowieso fest, dass der Befall tendenziell eher abnimmt. Es ist eine Beobachtung, die er aus all den Jahren auf den Gemüsefeldern mitnimmt: «Schädlinge treten in mehrjährigen Zyklen auf». In den 1990er Jahren sei beispielsweise die Kohl-Drehherzgallmücke ein riesiges Problem gewesen. Heute käme sie kaum mehr vor. Wie und weshalb es zu solchen Zyklen kommt, bleibt für ihn ein ungelöstes Rätsel.

Martin Keller beobachtet, dass Schädlinge wie die Weisse Fliege in Rosenkohl in mehrjährigen Zyklen auftreten.
Neue Schädlinge als Herausforderung
In den letzten Jahren gehäuft neu auftretende Schädlinge und Krankheiten sind eine ständige Herausforderung für Berater wie Martin Keller. In diesem Jahr überwacht der Beratungsring im Auftrag von Betrieben erstmals den Rübenrüssler in Parzellen in Randen und Krautstiel. Die Rübenmotte oder die Schilfglasflügelzikade sind andere in der Region neue Schädlinge. Gerade letztere ist gefürchtet, weil sie Krankheiten überträgt, welche in Deutschland bereits zu sehr grossen Schäden führen. «In den drei im Seeland von uns erstmals überwachten Parzellen sind bereits Zikaden in die Falle gegangen.» Dabei arbeitet der Beratungsring mit der Berner Fachhochschule HAFL zusammen, welche sich dem Thema in der Schweiz etwas angenommen hat. Aus seiner langjährigen Erfahrung weiss Martin Keller, dass es zur zuverlässigen Überwachung immer mindestens zwei Fallen pro Parzelle braucht. Die HAFL arbeitete bisher nur mit einer Falle. Mit zwei Fallen konnten nun bereits interessante Erkenntnisse über die Einflugrichtung aus Nachbarkulturen gewonnen werden.
Keine Standardlösungen
Martin Keller weiss, was eine gute Beraterin oder einen guten Berater ausmacht. Sie müssten spüren, was die Kundschaft wolle. «Für dreimal das gleiche Problem kann es drei verschiedene Lösungen geben.» Es sei davon abhängig, ob ein Betrieb eher defensiv oder offensiv unterwegs sei. Ihre Stärke sei, dass sie nicht einfach Standardlösungen anbieten würden. Dass die Beratungsfirma privatrechtlich als Verein organisiert ist, ermöglicht eine Unabhängigkeit, die den sonst oft von Handelsfirmen angebotenen Beratungen abgeht. Trotzdem sei die Finanzierung der aktuell 280 Stellenprozente immer wieder eine Herausforderung. Der Beratungsring finanziert sich durch die Mitgliederbeiträge und durch das Erbringen von Dienstleistungen. Dazu gehören Strukturdatenerhebungen, Vorbereitungen auf Kontrollen, das Rechnen von Nährstoffbilanzen oder Aufzeichnungen im Agrarinformationssystem Gelan und vieles mehr. Der Kanton Fribourg gewährt einen jährlichen Beitrag von 5000 Franken, der Kanton Bern bezahlt einen Büroraum im Inforama in Ins. Dort im Seeländer Hotspot für Gemüse profitiert er vom Netzwerk und Kontakten zur Branche. Auch deshalb ist Martin Keller immer gut informiert.
Prägte den Schweizer Gemüsebau
Der Gemüseanbau ist für Martin Keller eine Herzensangelegenheit. Viele der vom Beratungsring Gemüse verwendeten Erfassungs- und Analysetools sind auf seinem Mist gewachsen, immer ausgerichtet nach der Praxis. Schlank, effizient und pragmatisch musste es immer sein, auch bedingt durch das kleine Team mit seinen jetzt noch insgesamt fünf Angestellten. In den über drei Jahrzehnten in der Beratung hat er zahlreiche Pflöcke eingeschlagen, von welchen die Branche heute profitiert. Er pflegt direkte Kontakte in die wichtigen Ämter und bringt dort immer wieder die Sicht der gemüsebaulichen Praxis ein. Er war Mitgründer der Labor Ins AG mit seinen Boden- und Pflanzenproben oder gestaltete die IP-Richtlinien aktiv mit. In zwei Jahren erreicht Martin Keller das Pensionsalter. Natürlich macht er sich Gedanken über seine Nachfolge. Schliesslich sei der Beratungsring Gemüse schon ein bisschen sein Baby. Seit der Ausbildung zum Landwirt und dem Abschluss des Agronomiestudiums an der ETH kennt er nur diesen Job. Im nächsten Jahr will er sich trotzdem intensiv um die Nachfolge kümmern. Aber natürlich könne er sich gut vorstellen, danach weiterhin in einem reduzierten Arbeitspensum durch die Gemüsefelder zu laufen. Die Branche wird es ihm danken!
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