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Energie von ganz unten

Es ist heiss unter der Schweiz. Doch die gigantischen Energiereserven schlummern weitgehend ungenutzt in der Tiefe. Das soll sich nun ändern. Mit dem ersten Schweizer Geothermie-Kraftwerk, das aus Erdwärme Strom herstellt. In Basel endete der Traum vor vier Jahren mit einem Erdbeben.

St. Gallen will das erste Kraftwerk in der Schweiz bauen, das aus der Hitze des Bodens Strom produziert. Projektleiter Marco Huwiler ist sicher: «Klappt es, wird das schweizweit einen Geothermie-Hype auslösen.» Am 28. November stimmt das Volk über den für das Projekt notwendigen Kredit von 159 Millionen Franken ab. «Die Bevölkerung steht voll hinter dem Projekt!» sagt Huwiler. Die Stimmung sei gar euphorisch.
Die Aussichten sind verlockend: Eine Studie des Paul Scherrer Institutes (PSI) schätzt das  theoretisch nutzbare Energiepotenzial unter der Schweiz in der Tiefe zwischen drei und sieben Kilometer auf über das Tausendfache der im Land verbrauchten Strommenge. «Die ganze Schweiz schaut nach St. Gallen und hofft, dass es endlich gelingt, die Energiequelle zu erschliessen», sagt Huwiler.

Im Ausland ist dies längstens der Fall. Die Nummer eins in der Geothermie-Stromproduktion sind die USA, gefolgt von den Philippinen und Indonesien. Kenya produziert 11 Prozent seines Stroms aus dem Boden.
Doch St. Gallen blickt vor allem nach Unterhaching bei München. Dort produziert ein Geothermie-Kraftwerk seit einem Jahr Strom für 4’500 Haushalte und liefert zusätzlich Wärme ins Fernwärmenetz. Die in St. Gallen geplante Anlage ist ungefähr gleich gross. Die geologischen Voraussetzungen sind ähnlich: Beide Orte liegen in einem Molassebecken, wo warme Quellen häufig vorkommen. «Unterhaching zeigt, dass die Technologie in unseren Breitengraden funktioniert», sagt Huwiler.

Doch der Traum kann schnell platzen. «Trotz seismischer Vorabklärungen ist es möglich, dass wir in 4000 Metern im Trockenen bohren und keine heissen Quellen finden», sagt Huwiler. «Nur die Bohrung bringt Gewissheit.» Ein Misserfolg wäre ein weiterer Rückschlag für die Tiefen-Geothermie in der Schweiz.

Schon einmal befand sich eine ganze Region in Aufbruchstimmung. Der Traum vom unendlichen Strom aus der Tiefe endete in Basel vor vier Jahren aber abrupt mit einem Erdbeben. Ausgelöst vom Geologen Markus Häring. Den Tag des Erdbebens wird er nicht so schnell vergessen. Der Ingenieur bohrte einst in verschiedenen Ländern für Shell. Ihm fielen dort die extrem heissen Bohrspülungen auf. «Da war mehr als nur Öl und Gas in der Erde», sagt der Bohrfachmann. Das Interesse an der Geothermie war geweckt. In Basel leitete er das Geothermie-Projekt «Deep Heat Mining».

In der letzten Dezemberwoche im Jahr 2006 steht das Projekt in Basel vor der entscheidenden Phase. Das Bohrloch in die Tiefe von fünf Kilometern ist gebohrt. Wie erwartet ist es dort im Gestein heiss: über 180 °C. Ideal zur Herstellung von Strom. Doch um die Hitze nutzen zu können, muss der Fels zuerst für Wasser durchlässig gemacht werden. Die Geologen nennen das dafür angewendete Verfahren «Enhanced Geothermal System (EGS)». Ein Novum in der Schweiz. Häring wendet es in Basel erstmals an. Wasser wird dabei durch das Bohrloch tief in die Erde gepumpt. Der aufgebaute Druck sprengt die harten Gesteinsschichten im Untergrund, kleine Risse entstehen. Der Fels wird durchlässig. Wasser kann nun durch die heisse Bodenschicht fliessen und die Hitze der Umgebung aufnehmen. In einem Kreislauf pumpt das Geothermie-Kraftwerk kühles Wasser durch das eine Bohrloch in die Tiefe. Durch das andere fliesst das erhitzte Wasser zurück und entladet sich an der Oberfläche als heisser Dampf, der die Strom-Turbine antreibt. Die überschüssige Wärme fliesst – falls vorhanden – in ein Fernwärmenetz. Das nun abgekühlte Wasser gelangt wieder zurück in den Boden.

Die Phase des Druckaufbaus dauert in Basel mehrere Tage. Die Monitore im Büro der Firma Geothermal Explorers von Ingenieur Häring in Pratteln zeichnen genau auf, was im Untergrund passiert. Erste erwartete Minibeben entstehen. Ein Zeichen, dass die Technik funktioniert. Nach fünf Tagen poltert es in der Nacht auf den Freitag erstmals: Magnitude 2,7. Das liegt klar über der Fühlbarkeitsschwelle. «Ich rechnete mit aufgebrachten Anrufern», sagt Häring. Doch diese bleiben zu seiner Überraschung aus. Trotzdem entscheidet sich sein Team am Nachmittag zum Abbruch der Übung. Zu hoch ist das Risiko von Erdbeben. Der Bohrmeister wird angehalten, den Druck im Bohrloch abzulassen. Zu spät. Kurz danach knallt es gewaltig durch die Büroräume. Markus Häring schaut zu seinen Mitarbeitern und sagt: «Das waren wir!» Nach einer Minute klingelt das Telefon. Der Schweizerische Erdbebendienst ist am Apparat: Er und sein Team habe soeben ein Erdbeben der Magnitude 3,4 produziert. Eine halbe Stunde später sitzt Häring im Polizeiwagen, der ihn mit Blaulicht durch den dichten Feierabendverkehr zum kurzfristig einberufenen Krisenstab nach Basel fährt. In diesem Moment ist ihm klar: «Das wars fürs erste mit der Stromproduktion aus der Geothermie in der Schweiz.»

Deshalb blickt die Schweiz nun hoffnungsvoll nach St. Gallen. Und wenn es wieder schief läuft? «Dann verzögert sich das Ganze um ein paar Jahre», sagt Projektleiter Huwiler. Doch der Geothermie gehöre die Zukunft: «Das Potenzial im Boden ist schlicht zu gross.»

Die Energiewirtschaft warnt seit Jahren vor einer bevorstehenden Stromverknappung. Die Energie-Abhängigkeit der Schweiz vom Ausland würde weiter zunehmen. Die Geothermie aus dem eigenen Boden könnte hier ihren Beitrag leisten. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Stromkonzerns Axpo. Darin attestiert sie der Geothermie in der Schweiz im Jahr 2050 das grösste theoretische Potential unter den erneuerbaren Energien zur Stromproduktion. So viel wie Solar, Wind, Biogas und Biomasse zusammen. Axpo beziffert die mögliche Schweizer Stromproduktion aus Geothermie auf die dreifache Menge, wie sie heute das Kernkraftwerk in Beznau jährlich liefert. Mit einer Einschränkung allerdings: Die Technologie muss sich zuerst durchsetzen. «Basel hat leider gezeigt, dass diese noch nicht reif ist,» sagt Axpo-Sprecherin Daniela Biedermann.

Bereits seit 1994 nutzt das Geothermie-Kraftwerk in Riehen natürliche heisse Quellen in 1500 Meter Tiefe. Über ein Fernwärmenetz versorgt es 300 Haushalte mit Wärme. Dadurch können drei Millionen Liter Heizöl ersetzt werden. Auch in St. Gallen sollen die Haushalte neben Strom vor allem mit Wärme versorgt werden. Doch diese ist langfristig nicht interessant: «Die Zukunft der Geothermie liegt in der Stromproduktion», sagt Roland Wyss, Geschäftsführer der Schweizerischen Vereinigung für Geothermie. «Die Gebäude sind immer besser isoliert, deshalb wird der Wärmebedarf abnehmen».

Der Boden muss also nicht Wärme sondern Strom liefern. Das Bundesamt für Energie (BFE) ist optimistisch, dass dies gelingt. Der beim Amt für den Bereich Geothermie zuständige Erdwissenschafter Gunter Siddiqi spricht von einem realistischen Anteil von 5 Prozent des Stromverbrauchs aus der Geothermie bis in zwanzig Jahren. Dafür wären in der Schweiz rund hundert kleinere Geothermie-Kraftwerke nötig. Siddiqi erkennt in der Geothermie gegenüber anderen erneuerbaren Energien wie Solar oder Windkraft vor allem einen Vorteil: «Geothermie produziert Band-Energie». Sie liefert konstant Strom, unabhängig von Tages- oder Jahreszeit, Wetter- oder Windverhältnissen. Das können sonst in der Schweiz nur Kernkraft- und Wasserkraftwerke. Genug einheimische Band-Energie ist unerlässlich für ein gut funktionierendes Stromnetz.

Die Produktionskosten für eine Kilowattstunde Strom aus Geothermie schätzt das PSI in seiner Studie auf  7 bis 15 Rappen, wenn sich die Technologie weiterentwickelt. Rund doppelt so hoch wie Strom aus Kernenergie, aber nur ein Viertel der Kosten für Solarstrom. Geothermie-Kraftwerke wären für die kleinen dicht besiedelten Schweiz geradezu ideal: Die geplante Anlage in St. Gallen benötigt ungefähr die Fläche einer Dreifachturnhalle. Der grosse Teil des Prozesses läuft bei der Geothermie unsichtbar im Boden ab. Keine gestauten Bergtäler oder laute Windräder in der Landschaft. Und dazu weitgehend CO2-frei. Höchstens eine kleine Dampfwolke, die aus einem Kühlturm entweicht, könnte das Landschaftsbild etwas trüben.

Trotz klaren Vorteilen stockt die Geothermie. Warum? «Psychologische Gründe», macht Roland Wyss, Geschäftsführer der Schweizerischen Vereinigung für Geothermie, geltend. «Nach dem Erdbeben in Basel ist die Verunsicherung immer noch gross.» Dabei ist er überzeugt, dass man gerade mit den Erkenntnissen aus Basel die Technologie in den Griff bekommen wird. «Die Geothermie befindet sich noch im Forschungsstadium.» Tatsächlich sei jede Tiefen-Bohrung in der Schweiz ein Prototyp, sagt Wyss. Noch sind die Bohrungen deshalb sehr teuer. In Basel kosteten sie beispielsweise 60 Millionen Franken. St. Gallen rechnet mit 45 Millionen Franken. «Die fehlende Konkurrenz unter Bohrfirmen treibt den Preis zusätzlich in die Höhe», sagt der Geologe. Diese kämen zudem alle aus dem Ausland. «Mehr Wettbewerb in der Schweiz würde die Bohrkosten senken!», sagt Geothermie-Verbandsvertreter Wyss.

Die für eine wirtschaftliche Stromproduktion nötigen Temperaturen von mindestens 100° C kommen in Tiefen von 3000 bis 5000 Meter vor. Doch nicht alle Schichten eignen sich. Aus der Erdölbranche weiss man, dass statistisch gesehen nur jede fünfte Bohrung ein Erfolg ist, selbst bei gut erforschten Bodenstrukturen. «Die Schweiz ist ein Land ohne Bohrkultur», sagt Wyss. Nicht einmal ein Dutzend Bohrungen von mehr als drei Kilometern Tiefe wurden in der Schweiz bisher durchgeführt. Niemand weiss deshalb, wie es unter der Schweiz aussieht. «Die Schweiz müsste zuerst richtig abgebohrt werden, um zuverlässige Daten zur Beschaffenheit des Untergrundes zu erhalten.» Das Risiko von teuren Fehlbohrungen würde dadurch sinken.

Ohne öffentliche Gelder und risikofreudige Investoren läuft zurzeit aber wenig. Der von der Netzwerkgesellschaft Swissgrid verwaltete Fonds zur Geothermie-Risikodeckung übernimmt bei Fehlbohrungen die Hälfte der Kosten. «Trotzdem wirkt der drohende Verlust noch abschreckend auf private Investoren», sagt Verbandsvertreter Wyss. Damit die Technologie reifen könne, wären aber gerade jetzt Anschubfinanzierungen nötig. Wie zum Beispiel die gesetzlich geregelte kostendeckende Einspeisevergütung (KEV). Sie finanziert Anlagen, die Strom aus erneuerbare Energien herstellen wie Solar, Wind, Kleinwasserkraft und Geothermie. Die Stromkunden finanzieren die KEV durch eine Abgabe auf ihrer Stromrechnung. Doch zurzeit ist das Geld aus dem Topf verteilt. Neue Anlagen landen auf der Warteliste. «Wir müssen mit grossen Geothermie-Projekten hinter tausenden von kleinen Solaranlagen-Betreibern anstehen», ärgert sich Wyss. Und das könne noch Jahre dauern.

Trotzdem herrscht nicht nur in St. Gallen Aufbruchstimmung: «In der ganzen Schweiz sind neue Projekte geplant», sagt Geothermie-Experte Siddiqi vom BFE. Wie in der Ostschweiz wird in Lavey-les-Bains VD voraussichtlich im nächsten Jahr mit der Bohrung begonnen. Beide Projekte sind hydrothermale Kraftwerke, die bereits vorhandene heisse Quellen nutzen. Es müssen keine Gesteinschichten gesprengt werden. Die Gefahr von Erdbeben ist deshalb tiefer. Weil das Vorkommen von heissem Wasser im Untergrund auf bestimmte Regionen begrenzt ist, betrachten Experten die in St. Gallen und Lavey-les-Bains angewendete hydrothermische Energienutzung nur als zweitbeste Lösung. Für Geologe Wyss ist klar: «Die Zukunft gehört trotz Basel der EGS-Technologie.» Wo heisse Gesteinsschichten vorkommen, kann sie angewendet werden. Und das ist praktisch überall in der Schweiz. Seit dem Beben in Basel ist der Ruf der EGS-Technologie in der Öffentlichkeit allerdings ramponiert.

Vor einem Jahr wurde dem Projektleiter des abgebrochenen Basler Geothermie-Projektes der Prozess gemacht: Das Gericht sprach ihn vom Vorwurf frei, bei der Auslösung des Erdbebens fahrlässig gehandelt zu haben. Heute bedauert der Bohrexperte nur, dass das abrupte Ende von «Deep Heat Mining» zu negativer Presse geführt und die Technologieängste bei der Bevölkerung geschürt habe. Sein Projekt bezeichnet er mittlerweile aber als Erfolg. Seit dem Erdbeben melden sich bei ihm Kraftwerkbauer und Erdbebenforscher aus der ganzen Welt. «Die in Basel gewonnen Daten und Erkenntnisse haben weltweit für Furore gesorgt und uns einen grossen Schritt weitergebracht», sagt Häring. Das werde der Geothermie in der Schweiz auf die Sprünge helfen.

Der ehemalige Shell-Mitarbeiter Häring warnt aber davor, mögliche Energiequellen gegeneinander auszuspielen. «Wenn wir in Zukunft genug Energie haben wollen, dann müssen wir alle möglichen verfügbaren Energien im Land nutzen.» Der Beitrag der Geothermie sei dabei aber noch genauso unbestimmt, wie derjenige aller anderen Energieträger. Klar ist aber für ihn: «Geothermie wird im künftigen Energiemix unverzichtbar sein!»

PDF von Artikel im SonntagsBlick Magazin

www.geothermie.ch

www.geothermal.ch

www.rwgeo.ch

www.geothermie.stadt.sg.ch

Veröffentlicht in Blog

Ein Kommentar

  1. Das finde ich mal eine gute Alternative und hoffentlich ersetzt diese Technik auch bald die Atomkraftwerke.

    Freundliche Grüsse Patrick

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