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Gentechnologie wird auf EU-Äckern zur Realität (BauernZeitung, 12. Dezember 2003)

Mais

Obwohl umstritten, stehen gentechnisch veränderte Kulturen vor dem Einzug auf die EU-Äcker. Das forsche Vorgehen der Politiker sorgt bei Produzenten und Verarbeitern für rote Köpfe. Manche fürchten um ihre Existenz.

In der vergangenen Woche haben Bauern im Deutschen Bundesland Mecklenburg Vorpommern eine gentechnikfreie Zone ausgerufen. Elf konventionelle Landwirte und vier Biobauern verpflichteten sich dabei, auf ihren Äckern von einer Fläche von über 10’000 Hektaren keinen gentechnisch veränderten Raps, Mais oder Weizen anzupflanzen. Seit sich in der Europäischen Union ein fundamentaler Richtungswechsel im Bereich der Gentechnologie abzeichnet, schiessen ähnliche Initiativen in Deutschland wie Pilze aus dem Boden. Die Bauern fürchten sich vor der Freisetzung gentechnisch veränderter Kulturen, die schon zum nächsten Aussaattermin Realität werden könnte. Das seit 1998 in der EU geltende De facto-Moratorium wird in den nächsten Monaten durch neue Gesetze abgelöst und diese sind umstritten. Bei den Lebensmitteln sind die Würfel bereits gefallen. Seit Anfang November gilt eine Höchstlimite von maximal 0,9 Prozent GVO (Gentechnisch veränderte Organismen) Anteilen in konventionellen Lebensmitteln. Sind es mehr, muss der Artikel als GVO-haltig deklariert werden. Für die Bauern viel entscheidender ist die Regelung beim Saatgut. Die von der EU-Kommission vorgeschlagenen erlaubten Grenzwerte sind so hoch, dass befürchtet werden muss, dass die Gentechnikfreiheit im Saatgut und letztendlich auch in Lebensmitteln zur Illusion wird. Die Wahlfreiheit von Produzenten und Konsumenten würde verunmöglicht. Die EU-Kommission hat ausserdem heikle Fragen wie Haftung und Koexistenz an ihre Mitgliedsstaaten delegiert, was bei vielen Politikern zu Unmutsäusserungen führte. „Wer die Krümmung von Gurken vorschreibt, wird doch wohl auch Haftungsrichtlinien festlegen können“, äusserte sich der verärgerte Deutsche Bauernverbandspräsident Gerd Sonnleitner jüngst an einer Tagung in Berlin.

Von der Realität eingeholt

Im Schatten des Moratoriums wurden die Diskussionen um die Anwendung der Risikotechnologie in den letzten fünf Jahren nur noch auf Sparflamme geführt. Die mit Hilfe von zahlreichen Umfragen immer wieder bekräftigte ablehnende Haltung der Bevölkerung schien diese auch nicht notwendig zu machen. Doch die Politik ist nun von der Realität eingeholt, wenn nicht sogar überrollt worden. Der grossflächige Anbau von GVO-Kulturen in den grossen Exportländern Nordamerikas führt dazu, dass heute bei wichtigen Rohstoffen wie Soja, Mais oder Baumwolle kaum mehr GVO-freie Ware erhältlich ist. Der wirtschaftliche Druck der USA trägt zusätzlich dazu bei, dass dem Einzug der GVO-Produkte auf den europäischen Äckern nun endgültig zum Durchbruch verholfen werden soll, obwohl das eigentlich niemand möchte. „Der ideologische Kampf ist verloren! Nun sind pragmatische Lösungen gefragt, welche den Schaden in Grenzen halten“, sagt der grüne EU-Parlamentarier Friedrich Wilhelm Graefe zu Bahringdorf. Zur Diskussion stehen nun die für die Bauern so kapitalen Schwellenwerte für erlaubte GVO-Anteile im Saatgut. In Brüssel werden Werte von 0,3 Prozent beim Raps, 0,5 Prozent beim Mais und 0,7 Prozent bei der Soja diskutiert. Die Gentechnologie-kritische Seite erachtet diese als viel zu hoch und fordert zusammen mit der Bundesverbraucherministerin Renate Künast einen maximalen zulässigen Anteil von 0,1 Prozent.

Koexistenz schwierig

Ungelöst ist auch die Frage, wie das Nebeneinader von gentechnologischer und konventioneller Landwirtschaft vor sich gehen soll. Regeln liesse sich diese Koexistenz beispielsweise mit klar definierten Sicherheitsabständen, für deren Festlegung es allerdings kaum wissenschaftliche Grundlagen gibt. Noch nicht geregelt ist wie erwähnt die Haftungsfrage. Wer bezahlt einem Bauern, der wegen ungewolltem Pollen-Eintrag von Nachbars GVO-Raps-Acker den Ertragsverlust, wenn dieser seine Ernte nicht verkaufen kann? Seit der Veröffentlichung einer Studie aus Grossbritannien leuchten die Alarmglocken bei den europäischen Bauern auf Rot. Darin wurde gezeigt, dass der Pollenflug von GVO-Raps sich auf über 25 km erstrecken kann. Die Koexistenzfrage wird deshalb heftig diskutiert. Insbesondere biologisch wirtschaftende Betriebe, die sich der absoluten Gentechnikfreiheit verschrieben haben, fürchten um ihre Kundschaft und sehen sich in ihrer Existenz akut bedroht. Ralf Weisshaupt vom biologischen Lebensmittel Hersteller Rapunzel Naturkost AG, ratet den Biobauern trotz allem schon einmal davon ab, die Nulltoleranz auf ihre Fahnen zu schreiben. Trotz aufwändigem Qualitätssicherungssystem kann sein Verarbeitungsbetrieb gemäss seinen Aussagen die Kontamination mit GVO schon heute nicht mehr vollständig ausschliessen. Er rechnete zudem aus, dass der Aufwand für Analysen, Kontrollen, Überwachungen und Rückrufaktionen bereits heute rund 7 Prozent des Preises des Endproduktes ausmachen. Ähnliche Aufwände kommen auf die Bauern zu. Eine weitere Studie

Was wird in fünf Jahren sein?*

Gerd Sonnleitner, Präsident Deutscher Bauernverband: „Wir werden klare Regelungen haben, der Anbau von GVO wird verschwindend gering sein. Optionen in der Nutzung der Grünen Gentechnik, insbesondere bei nachwachsenden Rohstoffen, sollte man sich jedoch offen halten.“

Thomas Dosch, Bioland-Bundesverband: „In fünf Jahren werden wir mehr als 10 Prozent Öko-Produzenten haben, die eine Alternative zu gentechnisch produzierten Produkten darstellen. Aber es ist zu befürchten, dass vermeintlich Sachzwänge zur Einführung der Gentechnik führen. Das ist aber nicht zwangsläufig, denn die Weichen werden heute gestellt.“

* Die Aussagen wurden anlässlich einer Tagung des Bundes Ökologische Landwirtschaft (BÖLW) in der vergangenen Woche in Berlin getätigt.

kommt zum Schluss, dass den Landwirten für Verhütungsmassnahmen vor gentechnischer Verunreinigungen pro Hektar Kosten von zwischen umgerechnet 75 und 500 Franken entstehen. Bauern und Verarbeiter fordern, dass bei den Sicherheits- und Schadenskosten das Verursacherprinzip angewendet werden soll.

Freisetzung durch die Hintertür

Die Machtlosigkeit bei den EU-Landwirte ist gross. Trotzdem bleibt ihnen kaum Zeit um sich über das angeschlagene forsche Tempo zu ärgern. Diverse neue Pflanzen stehen kurz vor der Zulassung. Viele befürchten, dass bei den vorgeschlagenen Grenzwerten der Verbreitung von GVO-Kulturen Tor und Türen geöffnet würden, und dies schon im nächsten Jahr. Da das Saatgut am Anfang der Nahrungsmittelkette steht und vermehrungsfähig ist, gehen Wissenschaftler davon aus, dass der Grenzwert von 0,9 Prozent bei den Lebensmitteln sehr häufig überschritten würde und einen Imageverlust bei den Konsumenten herbeiführen würde. Doch diese haben bis jetzt noch nicht in die Diskussionen eingegriffen, Das heikle Thema findet in Deutschlands Öffentlichkeit kaum Beachtung. Dies obwohl die viel gepriesene Wahlfreiheit auf dem Spiel steht. Die EU-Kommission wird in den nächsten Wochen entscheiden.

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