Aufgrund des milden Winters steht ein weiteres „Schneckenjahr“ bevor. Die einst eingeschleppte spanische Wegschnecke profitiert am meisten. Ein Schneckenforscher warnt zudem vor einer neuen exotischen Art. Die gute Nachricht: Seit diesem Jahr gibt es ganz offiziell biologische Schneckenkörner.
Überschwemmungen, Erdrutsche und Dürre. Das sind die gängigsten Horrorszenarien des viel diskutierten Klimawandels. Viele kleine Katastrophen in diesem Zusammenhang schaffen es kaum ins mediale Rampenlicht. Eine findet vor unserer Nase in unseren Gärten statt: Sobald es im Frühling etwas wärmer wird, werden sich Heerscharen von gefrässigen Schnecken von ihren Winterverstecken aus auf den Weg in die Gemüse- und Blumenbeete machen. Und es könnten in diesem Jahr mehr denn je sein: Schon seit längerem überleben nämlich immer mehr Schnecken die zunehmend milderen Winter. Manchen Gartenfreund haben sie in den letzten Jahren bereits an den Rand der Verzweiflung gebracht. Und mit sanften Bekämpfungsmassnahmen – Bierfallen, Verbrühen oder Asche streuen – ist der Schneckenplage kaum beizukommen. Jeden Morgen die bange Frage: Haben meine Setzlinge überlebt? Zähneknirschend um nicht zu sagen von Hass erfüllt bleibt am Ende oft nur noch der resignierte Griff zu Schneckenkörnern. Eine innere Bankrotterklärung für jeden naturbewussten Gartenfreund. Aber trotzdem immer öfter unausweichlich, wenn einem etwas an frischem Salat oder schönen Blumen liegt.
Eingewanderte Schnecken
Die Schneckenplage in unseren Gärten ist aber mehr als nur die Folge der Klimaveränderung. Sie hat viel mit dem Verschieben von Waren über die Kontinente zu tun. Dabei werden bekanntlich auch Pflanzen herumgekarrt und mit ihnen Erde. Mit solchen Transporten gelangte mit grosser Wahrscheinlichkeit schon vor ein paar Jahrzehnten die spanische Wegschnecke (Arion lusitanicus) von der iberischen Halbinsel zu uns. Zu Hause in Spanien und Portugal bereitet sie den Bauern und Gärtnern kaum Probleme.
Vorbeugende Massnahmen
– Saatbeet fein zubereiten, damit Schnecken keinen Unterschlupf finden
– Auflockern des Saatbeetes im Frühling, um Schneckenbrut zu zerstören
– Kein Giessen am Abend, die nachtaktiven Schnecken lieben feuchte Böden
– Schneckenzaun zehn Zentimeter unter und über dem Boden installieren
Ganz anders aber bei uns in Mitteleuropa, wo die schleimigen Raubritter offenbar ein ihnen behagendes Klima vorfinden und zudem kaum natürliche Feinde haben. Ausserdem sind sie wenig empfindlich gegen Trockenheit, das haben sie zu Hause in Spanien und Portugal gelernt. Auf ihrem Feldzug durch die Schweizer Wiesen verdrängten sie mittlerweile die heimische Rote Wegschnecke (Arion rufus) in die Wälder und übernahm die Vorrangstellung in den Gärten. Nichts, was nicht auf ihrem Speiseplan steht: Wenn das Angebot knapp ist, machen sie selbst vor Kollegen und Kolleginnen der eigenen Spezies nicht Halt.
Nicht nur ein Problem für Hobbygärtner
Schnecken sind mittlerweile auch zum Alptraum von professionellen Gemüseproduzenten und Landwirten geworden. Vor allem die genetzte Ackerschnecke sorgt dort regelmässig für grosse Schäden. „Die Spanische Wegschnecke wird aber auch im professionellen Bereich immer mehr zum Problem“, sagt Markus Bieri, Schneckenspezialist beimPflanzenschutzhersteller Lonza in Basel.
Direkte Bekämpfung
– Einsammeln und mit heissem Wasser überbrühen („humane“ Alternative: einfrieren)
– Kalk oder Asche streuen, allerdings nur bei trockenem Wetter wirksam
– Fallen stellen, wie Holzbretter oder grosse Gemüseblätter, unter denen sich die Schnecken
am Tag verkriechen
– Bierfallen stellen mit im Boden versenkten Joghurtbecher
– Indische Laufenten laufen lassen, ein eher exotischer Ansatz
– Einsatz von Nematoden (Fadenwürmer), ist relativ teuer und anspruchsvoll
– Biologische Schneckenkörner „Ferramol“ auf Basis von Eisen-Phosphat breitgefächert
streuen, erhältlich bei Andermatt Biocontrol AG (www.biocontrol.ch) oder unter dem
Namen „Adalan“ bei Coop.
In den Wiesen am Ackerrand fühlen sie sich extrem wohl. Sie nützen diese sozusagen als Basisstation für nächtliche Raubzüge auf den Äckern. Bei grossflächigen Schneckenplagen helfen auch bei den Profis oft nur noch Schneckenkörner, falls es nicht schon zu spät ist. Auf Vorbeugung anstatt Chemiekeule setzten bisher die Biobauern: Eine feinkrümelige Bodenoberfläche zur Verhinderung von Schlupflöchern beispielsweise. Auch der Pflug hilft bei der Schneckenregulierung oder der Verzicht auf die Bewässerung am Abend. Aber offenbar stösst das Vorsorgeprinzip an seine Grenzen: Seit diesem Jahr dürfen die Biobauern die Schnecken ganz offiziell direkt mit „Ferramol“ bekämpfen, in reglementierter Dosis. Dabei handelt es sich um so etwas wie politisch korrekte Schneckenkörner. Sie sehen sogar fast gleich aus wie die „normalen“ Körner. Nur sind sie nicht so giftig: „Ferramol enthält Eisenphosphat, welches auch natürlich im Boden vorkommt“, sagt Bernhard Speiser von der Forschungsanstalt für biologischen Landbau (Fibl) in Frick. Es habe keine negativen Auswirkungen auf Igel und andere Wildtiere und baue sich im Boden ganz natürlich wieder ab. Tests am Fibl zeigten, dass das Mittel vor allem bei der Spanischen Wegschnecke sehr gut wirkt. Eine gute Nachricht also für alle Gartenfreunde!
Exotische Häuschenschnecke als Bedrohung?
Eindeutig mehr Sympathien als die braunen Nacktschnecken geniessen die niedlichen Häuschenschnecken. Das liegt vielleicht auch daran, dass sie immer seltener werden. „Ihnen fehlt heute der Lebensraum. Zudem können sie Giften kaum ausweichen“, erklärt der Basler Schneckenforscher Christoph Oberer. Ganz im Gegensatz zu den Nacktschnecken, die sich in und auf den „verlassenen“ Flächen ausbreiten. Früher bereiteten Schnecken in den Gärten und auf den Äckern kaum Ärger. Im Gegenteil: Normalerweise ernähren sie sich vor allem aus abgestorbenem Material und erfüllen so eine wichtige Putzer-Funktion im Ökosystem. Die moderne Landwirtschaft hat das sensible Schneckengefüge in den letzten Jahrzehnten aber massiv aus dem Gleichgewicht gebracht. Nutzniesser sind die eingewanderten Schnecken aus China, Neuseeland oder eben Spanien, die sich viel besser in den Böden verkriechen können. „Vor 50 Jahren bestand die einheimische Schneckenwelt noch aus zwei Dritteln Häuschenschnecken und einem Drittel Nacktschnecken“, sagt Christoph Oberer. Heute sei das Verhältnis im besten Fall umgekehrt. Und nun droht das gute Image der Häuschenschnecken auch noch angekratzt zu werden. Schuld daran ist die kantige Laubschnecke (Hygromia cinctella). Laut Christoph Oberer wurde diese Häuschenschnecke vor ein paar Jahren aus Südeuropa in Basel eingeschleppt, trat vorerst nur sporadisch auf und verbreitet sich aber seit vier Jahren rasend schnell in der ganzen Region. Das Problem: Sie verschmäht Schneckenkörner ganz konsequent, ist äusserst widerstandsfähig und kann in Sachen Appetit gut mit der Spanischen Wegschnecke mithalten. Oberer ist überzeugt: „Kantige Laubschnecken werden Hobbygärtnern und Landwirte bald in der ganzen Schweiz massives Kopfzerbrechen bereiten!“
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