Bericht von einem Presseausflug nach Lettland, anlässlich einer informellen EU-Agrarministerkonferenz.
Der britische Agrarsekretär George Eustice, der sich in der lettischen Pampas im Hirschgeweihstossen übt oder EU-Agrarkommissar Phil Hogan beim Pfeilbogenschiessen. PR-Verantwortliche lassen sich zuweilen lustige Sachen einfallen. In diesem Fall war es die PR-Abteilung der lettischen EU-Präsidentschaft, die Ende Mai nicht nur die EU-Agrarminister an ein informelles Treffen nach Riga einlud sondern auch noch gerade eine Schar von Journalisten aus ganz Europa. Das European Network of Agrarjournalists (ENAJ) übernahm den Part für seine Mitglieder, darunter auch ich aus der Schweiz.
Stelldichein beim lettischen Agrarminister
Der Trip ins Baltikum startete mit einer Pressekonferenz vom lettischen Agrarminister Janis Duklavs im 23. Stock im mutmasslich höchsten Haus Lettlands. Ein Mann mit korpulenter Statur aber äusserst sympathisch, Typ Knudelbär. Und ich stelle fest: Auch hier gibt es Minister, die kein Englisch sprechen. Seine Dolmetscherin leistet aber gute Arbeit, abgesehen vom «th», das auffallend viele Letten nicht richtig aussprechen können, wie ich später feststelle. Sie übersetzt ein paar Details zur lettischen Landwirtschaft, dass es dort viele Moore und Wälder gibt, viel Grünland und auch Gemüse und Obst. Dazu ist Lettland die Nummer fünf in der EU, wenn es um die Anzahl biologisch bebauten Anbauflächen geht. Der biologische Landbau war denn auch das Hauptthema der einberufenen informellen EU-Agrarministerkonferenz: Es ging um neue Standards, über die man sich seit längerem nicht einig wird. Duklavs Ziel war es, in den nächsten Tagen endlich eine Einigung zu erzielen, und die lettische EU-Präsidentschaft zu einem guten Ende zu bringen. «Wollen Sie noch einen Blick in mein Büro werfen?» Ein Arbeitsplatz zum neidisch werden mit grandioser Aussicht auf Riga. Damit ist der erste Teil erstmals vorbei. Nach einer überraschend zügigen Sitzung der ENAJ-Delegierten im Anschluss geht es zum Nachtessen mit Agrarjournalisten aus ganz Europa.
Smalltalk mit dem EU-Agrarkommissar
Am nächsten Tag stehen die Exkursionen auf dem Programm. Drei Busse warten, die ersten Beiden gefüllt mit Agrarfunktionären fahren los, begleitet von einer Polizeieskorte. Der Bus mit den Journalisten ist ebenfalls gut gefüllt und fährt etwas später los. Das Ziel ist die biologische Hirschfarm Buku Audzetava. Im Bus kommt es zu meiner persönlichen Premiere: Das WLAN funktioniert einwandfrei. Per WhatsApp schicke ich Bilder aus dem Bus nach Hause unter anderem von unendlich vielen Wäldern. Ich frage mich, weshalb Lettland immer noch Torf zur Energieerzeugung braucht – so steht es zumindest auf Wikipedia -, angesichts dieser üppigen Holzvorräte. Ich denke in diesem Moment auch an die Diskussionen in der Schweiz über Höchstmengen von Torfgehalten in Substraten von Gemüsesetzlingen. Wie gesagt, in Lettland verfeuert man ihn in grossen Mengen.
Nach einer Stunde erreichen wir die Hirschfarm. Die Meute von Agrarfunktionären ist bereits beim munteren Hirschfuttern. Verwendet werden auf der Farm vor allem die Hirschgeweihe als Trophäen und natürlich das Fleisch. Scheu frage ich meine italienische Kollegin, welche EU-Agrarminister sie erkennt. Ich erfahre, dass der italienische, der dänische und auch die Ministerin aus Holland dabei sind. Dazu aber auch der grossgewachsene irische EU-Agrarkommissar Phil Hogan im Freizeitlook. «Der ist ganz cool, Du kannst ihn einfach ansprechen», sagt der österreichische Kollege ehrfurchtsvoll. Es geht weiter in die Halle: Tische aus Hirschgeweihen und andere Kunstwerke. Umrundet von geschätzten 50 antiken Holzsekretären, wie ich sie letztmals bei meinem Grossvater von 30 Jahren gesehen habe, stehen dort im zweiten Stock ein ausgestopftes Zebra, Antilopen, Hyänen und Wildschweine. Der Direktor der Farm sei ein passionierter Grosswildjäger. Zu sehen bekommen wir ihn interessanterweise an diesem Tag nicht. Am gleichen Ort werden hier die verschiedenen Kategorien von Hirschgeweihen präsentiert.
Lettisches Gemüse im Supermarkt
Nun bewegt sich der ganze Tross zu Fuss zweihundert Meter weiter in Richtung Blockhaus an einem schmucken kleinen See, von denen es übrigens Tausende in Lettland gibt. Unter strahlend blauem Himmel spielt eine Musikkappelle auf, im Pavillon stehen Hirschspezialitäten und Dips sowie allerlei Getränke bereit.
Natürlich nimmt es mich Wunder, wer hier in dieser für Lettland unüblichen Hitze Bier oder Weisswein kippt. Phil Hogan trinkt ein Mineralwasser. Die Szenerie erinnert irgendwie an eine Mischung zwischen einem Aris Kaurismäki Film und der Pate von Francis Ford Coppola. Die rote Tomate vom Buffet schmeckt überraschend gut. Ich kehre mich und meine Augen treffen just in diesem Moment auf diese von Janis Duklavs. «Sie schmecken gut, kommen die Tomaten aus Lettland?», frage ich ihn instiktiv. Er schaut zu seiner Übersetzerin, die die Frage sogleich aufnimmt. Er wisse es nicht, aber denke schon, dass hier nur lettische Produkte offeriert werden. «Weshalb diese Frage?» Ich sage ihm, dass ich auf dem Frischmarkt in Riga tonnenweise Tomaten und Erdbeeren aus Polen gesehen hätte, und nur ein paar wenige gelbe Tomaten aus Lettland. Er schmunzelt: «Lettisches Gemüse finden Sie vor allem im Supermarkt». Die Wochenmärkte stehen hier also nicht primär für regionale Frische wie bei uns. Andere Länder, andere Sitten.
Armbrustschiessen am See
Nun sollte der ganze Anlass ja vor allem auch eine lockere Atmosphäre für den Austausch mit den Journalisten bieten. Überraschend viele Minister liessen sich denn auch beim Pfeilbogenschiessen und beim Hirschgeweihstossen beobachten. Nicht alle machten dabei eine gute Figur. Der englische Kollege filmte seinen Agrarsekretär mit dem Hirschgeweih und lieferte dazu gleich noch den Livekommentar nach typisch englischer Sportkommentator-Manier. Der Klamauk fand nach etwa zwei Stunden sein Ende. Der Ministertross ging zurück nach Riga zu den Sitzungen währenddem sich der Journalistenbus weiter zu einer nächsten Besichtigung aufmachte. Die ersten Tweets von der Hirschfarm machen nun auf Twitter die Runde. Wir fahren vorbei an riesigen Rapsfeldern aber auch an Äckern, wo man nicht so richtig sieht, ob und was dort überhaupt wachsen sollte.
Bioschaffarm als Hobby
Das junge Ehepaar steht vor der Schafherde mit den lettischen Schwarzkopfschafen. Der Bauer steht ruhig da, wenn überhaupt jemand etwas sagt, ist es seine hochschwangere Frau mit der Frisur, die unweigerlich an Julia Timoschenko aus der Ukraine erinnert. Aber eigentlich spricht sowieso nur die Übersetzerin, allerdings in Eigenregie. Und sie hat durchaus interessantes zu berichten. Doch vorerst wird eine halbe Stunde über Schafe gesprochen. Im Hintergrund stehen neue Gebäude, die wir aber nicht zu sehen bekommen, weil sich die Gruppe nicht bewegt. Ich mache das selbst und komme vorbei am mehrheitlich verrosteten Maschinenpark und einem baufälligen Haus. Das scheint übrigens in Lettland typisch zu sein: Alte Häuser lässt man verfallen und daneben wird neu gebaut. Eigentlich ist das hier ja nicht so ein gutes Beispiel von einer Biofarm, wie ich finde. Beim Gespräch wird gejammertüber ungleiche Bedingungen innerhalb der EU-Länder, man müsse mit den tiefsten Direktzahlungssätzen auskommen. Die Bäuerin zeigt nun auf ein anderes verfallenes Haus gegenüber. Dort hätten einst die Besitzer des Landes gewohnt, die seien aber in den sowjetischen Gulags umgekommen. Hopps, Lettland lebt mit einer düsteren Vergangenheit. Ein finnischer Journalist fragt, dass sie doch jetzt eigentlich reich sein müssten, weil sie das Land vor 20 Jahren für 100 Euro die Hektare kaufen konnten. Jetzt kostet einfaches Agrarland zwischen 2000 und 3000 Euro, was im Vergleich zwar immer noch wenig ist, aber trotzdem eben viel mehr als auch schon. Und das bei 300 Hektaren. Eine Antwort gibt es nicht. Immerhin erfahren wir am Ende, dass die Schafhaltung eigentlich nur ein Hobby sei, und der Betrieb vor allem Ackerbau betreibe.
Russisches Blockhaus
Der Bus fährt nun fünf Minuten zum neu erstellten Blockhaus der Bauernfamilie mit dem typischen eigenen Seelein im Garten. Das Haus wurde übrigens mit russischem Holz gebaut. Das sei günstiger als mit lettischem Holz, sagt der Bauer. Erstaunlich bei diesem Holzvorrat und einem Lohnniveau, das durchschnittlich 8500 Dollar im Jahr beträgt. Wie macht das nur die Schweizer Holzwirtschaft?
In der Stube läuft der Fernseher neben dem antiken Webstuhl. Auf diesem webt die Bäuerin Handarbeiten, die sie zum Kauf anbietet. Bei Kuchen und Kaffee schlägt nun der Moment der Übersetzerin, die je zur Hälfte russische und lettische Vorfahren hat. In Riga, wo fast die Hälfte der rund 2 Millionen Letten wohnen, sind über die Hälfte der Einwohner Russen. Das Verhältnis zwischen den Beiden ist nicht das Beste. Und noch immer sind rund 200000 Einwohner ohne Pass, weil sie die von den lettischer Bevölkerung verlangte Prüfung über Sprache und Geschichte nicht abgelegt haben. Doch diskriminiert werde niemand, sagt die Frau. Natürlich sei man beunruhigt über die Grossmachtgebahren von Putin im Nachbarland Russland. Wer die jüngere Geschichte des Landes kennt, kann das verstehen. Lettland war länger unter fremder Herrschaft als unabhängig. Nie im Leben wolle sie das Sowjetische Leben zurück, gibt die Übersetzerin uns noch mit auf den Weg.
Jammernder Milchlobbyist zum Abschluss
Auf der Rückfahrt nach Riga fragt mich der britische Kollege, was ich vom heutigen Ausflug halte. Absurd, aber sehr interessant und auch lustig, antworte ich ihm. Am Abend referiert der oberste europäische Milchlobbyist Mansel Raymond von Copa-Cogeca über den aktuellen Milchmarkt. Die tiefen Preise seien eine Katastrophe sagt er und man müsse alles dafür tun, dass wenigstens das Niveau von 21 Cent gehalten werden könne. Währenddem ich mich vor Lachen kaum halten kann, weil mir mein britischer Kollege nebenan das Video vom Hirschgeweihstossenden britischen Agrarsekretär zeigt, kommt die Frage eines anderen britischen Kollegen, bei der mir klar wurde, weshalb sich die Teilnahme an solchen internationalen Presseanlässen eben doch lohnt. «Mister Raymond, was denken Sie über die Drohung der Kaffeekette Nero, künftig nur noch Milch aus Regionen zu verwenden, wo Dachse nicht gejagt werden dürfen?» Das sei ganz einfach, antwortet dieser. Man müsse den Spiess umkehren und die Kaffeekette boykottieren. Mein Kollege klärt mich auf: In England sind die Dachse Überträger der Rindertuberkulose. Über 30’000 Rinder hätten deshalb im letzten Jahr gekeult werden müssen. Nun habe man das Abschussverbot – der Dachs wäre eigentlich geschützt – in zwei Restrikten aufgehoben, was zu Protesten der Tierschützer geführt habe. Und offenbar hat die Kaffeekette Nero nun Angst vor seiner Kundschaft. Auf der britischen Insel ist das deshalb zurzeit ein Megathema, sagt mir der Kollege. Noch nie davon gehört. Der österreichische Kollege auch nicht, doch seien bei ihnen die Hirsche mit der Tuberkulose verseucht. Auch das hatte ich noch nie gehört. Beim gemeinsamen Nachtessen fragt mich der Milch-Lobbyist woher ich dann käme? Aus der Schweiz, die hier ja keine grosse Rolle spiele. Mitnichten, entgegnet er: «Wir haben auch Partner in der Schweiz.»
Die Pressekonferenz am Mittag des nächsten Tages lasse ich aus. Zu dieser Zeit befinde ich mich gerade im Anflug auf Zürich und staune von oben darüber, wie viele Bauern bei uns offenbar schon GPS benutzen, wenn Sie ihre Kulturen anpflanzen. Ich stelle den Flugmodus auf meinem Handy ab und muss mich wieder an die Schweiz gewöhnen: Bitte geben Sie für das Wlan ein Passwort ein. Zumindest hier hinkt unser Land Lettland meilenweit hintennach.
[…] Am 31. Mai 2015 fand in Riga eine Sitzung der Delegierten des European Network of Agrajournalists (ENAJ) statt. Chairman Jef Verhaeren durfte eine stattliche Anzahl Agrarjournalisten aus ganz Europa begrüssen. Von den SAJ war ich dabei. Finanziell ist die Organisation gut aufgestellt, allerdings würden im nächsten Jahr die Beiträge von EU Agri (www. http://agri.eu/) wegfallen. Haupttätigkeit des ENAJ ist die Organisation von günstigen Pressereisen. In diesem Jahr führten diese unter anderem nach Dänemark und Irland. Die nächsten Reisen finden in Österreich (3.-5. September 2015) und Italien (21.-25. September 2015) statt. Bei der Kommunikation dieser Reisen sei noch Verbesserungspotenzial vorhanden, sagte Verhaeren. Er rief deshalb die nationalen Organisationen dazu auf, die Mitglieder zur Abonnierung des Newsletters zu animieren (www.enaj.eu). Die Sitzung fand im Schatten eines informellen EU-Agrarministertreffens statt. Die Delegierten nahmen an einem zweitägigen Begleitanlass teil. Den ausführlichen Reisebericht lesen Sie hier: https://www.eppenberger-media.ch/hirschgeweihstossen-in-der-lettischen-pampas/ […]