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Schon Willhelm Tell hatte Bratkäse im Rucksack (LID-Mediendienst, 15. Juli 2004)

Mediendienst LID, 15. Juli 2004

Schon Willhelm Tell hatte Bratkäse im Rucksack

Früher war der Obwaldner Bratkäse die Nahrungsgrundlage für Älplerfamilien während den Sommermonaten. Der „kleine Bruder“ des Raclettekäses gilt heute als Spezialität und wird vor allem in den Zentralschweizer Kantonen geschätzt.

Ein heftiges Sommergewitter zieht über die Alp oberhalb von Sachseln. Es ist Abend und die Frau des Älplers bereitet die Mahlzeit vor, währenddem der Regen auf das Dach der Alphütte niederprasselt. Die Kinderschar wartet ungeduldig vor dem lodernden Feuer auf das Nachtessen. Mit einer eigens angefertigten Eisenzange hält die Mutter den BratkäseBratkäse in die Nähe der Hitze, und streicht den geschmolzenen Käse vorweg auf die Teller der hungrigen Mäuler. Zusammen mit dem am Morgen gebackenen Brot liefert die Mahlzeit genug Energie, um dem arbeitsintensiven Alltag auf der Alp standzuhalten.
So oder ähnlich dürfte ein Abendessen Mitte des 19. Jahr-

hunderts während den Sommermonaten auf den Alpen rund um den Sarnersee ausgesehen haben. Der typische Obwaldner Bratkäse wurde jeweils in den ersten Sömmerungstagen mit der rohen Milch der Alpkühe produziert und diente während der Alpzeit als lebenswichtiges Nahrungsmittel. Er wurde in erster Linie für den Eigenverbrauch verwendet. Dank der kurzen Reifezeit von etwa drei Wochen konnte mit den in kleinen Formen hergestellten „Bratchäsli“ schon nach kurzer Zeit die Vorratskammer gefüllt werden.

Gleicher Ursprung wie Raclette

Die geschilderte Zubereitung erinnert stark an die heute übliche Verwendung des Raclette-Käses. „Der Bratkäse hat den gleichen Ursprung wie der Raclettekäse und gründet in den einfachen Mahlzeiten während des Sommers auf den Alpen“, erklärt Alois Seiler. Er muss es wissen, denn als Inhaber der Seiler Käserei AG in Sarnen ist er heute der grösste Produzent von Obwaldner Bratkäse.
Raclette sei bestimmt keine Erfindung aus dem Wallis, denn auch in Obwalden werde seit Jahrhunderten Käse am Feuer zum Schmelzen gebracht, meint Alois Seiler zur laufenden Debatte über eine geschützte Ursprungsbezeichnung für Walliser Raclette. In der Seiler Käserei AG in Sarnen werden jährlich gegen 40 Tonnen Obwaldner Bratkäse produziert, was gut fünf Prozent der gesamten Käseproduktion des Betriebes entspricht. Das Hauptprodukt ist Raclettekäse, der im Gegensatz zu seinem „kleinen Bruder“ in die gesamte Schweiz geliefert wird, viel davon ins Wallis, wie Alois Seiler schelmisch hinzufügt. Der Obwaldner Bratkäse wird hauptsächlich in der Region abgesetzt, wo die einheimische Spezialität auch in den Sommermonaten fleissig gebraten oder roh gegessen wird. Er ist ausserhalb der Zentralschweiz kaum bekannt.

Bratkäse auf dem Rütli

Umso bekannter scheint der Halbhartkäse aus Obwalden aber schon zu Zeiten des Rütlischwurs bei der Gründung der Schweizer Eidgenossenschaft gewesen zu sein. Gemäss Aufzeichnungen aus klösterlichen Schriften soll Bratkäse nämlich schon im 13. Jahrhundert in der Zentralschweiz vorgekommen sein. Die Sortenorganisation Raclette Suisse schreibt auf ihrer Homepage, dass Willhelm Tell im Jahre 1291 bereits „Bratchäs“ zu sich genommen haben soll. In der Schrift „Sagen und Gebräuche aus Unterwalden“ beschreibt der Obwaldner Franz Niederberger den Gebrauch von Bratkäse am so genannten „Martiniessen“ in Sarnen. Demnach fanden sich die Behörden und die höheren Gesellschaftsschichten in der Woche nach dem 11. November jeweils zu den Abrechnungen ein und „vereinigten“ sich anschliessend zu einem gemütlichen Male, dessen Menü seit alten Zeiten unabänderlich gleich zusammengesetzt war. Es waren dies Erbsensuppe, grünes und dürres gesottenes Rindfleisch, geräucherter durchzogener Speck, geräucherte Würste mit Räben, gedämpfte Forellen, Bratwürste mit Risotto und eben auch Bratkäse.
Auf die Herkunft der Käsespeise im Berner Oberland und Wallis tauchten erst später Hinweise auf, wie es Raclette heisst . Trotzdem hat das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) im vergangenen Herbst entschieden, dass künftig nur noch Raclettekäse aus dem Wallis unter der Bezeichnung „Raclette“ vermarktet werden darf, obwohl dieser einen Anteil an der gesamten schweizerischen Produktion von bloss 13 Prozent ausmacht. Die übrigen Schweizer Racletteproduzenten haben den Beschluss aber angefochten, der definitive Entscheid steht noch aus. Auf die Frage, weshalb Raclette nicht einfach als „Bratkäse“ vermarktet wird, schüttelt Alois Seiler nur den Kopf. Denn er weiss, dass die beiden Produkte wichtige Differenzen aufweisen. Und diese liegen nicht nur in unterschiedlich hohen Bekanntheitsgraden.

Gute Schmelzeigenschaften

Die Unterschiede liegen in erster Linie in der Herstellung. Alois Seiler verfeinerte das ursprüngliche Rezept in eine Richtung, die den heutigen Ansprüchen der Kundschaft entspricht. „Der säuerliche Bratkäse, wie er vor hundert Jahren hergestellt wurde, hätte auf dem heutigen Markt keine Chance“, ist Alois Seiler überzeugt. Der früher in seiner Firma einmal verwendete Werbespruch „Beim Schmelzen zeigt sich, welcher Bratkäse Klasse hat“ deutet auf die speziellen Schmelzeigenschaften hin. In der Tat scheint der Käse unter der Hitze schneller zu schmelzen und wird flüssiger, als wir es beim Raclettekäse gewöhnt sind.
Dem Laien fällt zudem auf, dass der Bratkäse leichter verdaulich und weniger geruchsintensiv ist. „Unser Bratkäse hat einen eher milden Geschmack und schmeckt leicht säuerlich“, erklärt Geschäftsführer Felix Schibli den Unterschied zum Raclettekäse. Das hat damit zu tun, dass in der Käserei in Sarnen mit pasteurisierter Milch und nicht mit Rohmilch gekäst wird. „Der Einsatz von pasteurisierter Milch begünstigt die Reifung“, erklärt Felix Schibli. Und er wirke sich positiv auf die Schmelzeigenschaften aus. Für die entscheidenden Unterschiede zwischen Raclettekäse und Bratkäse sorgten aber die Rezepturen und die eingesetzten Milchsäurebakterien. Ausserdem sind die Laibe des Bratkäse bedeutend kleiner: Sie haben ein Gewicht von ungefähr einem Kilogramm, während der Raclette in Laiben von gut 5 Kilogramm hergestellt wird. Die Zeit im Reifekeller beträgt beim Bratkäse zwischen sechs und sieben Wochen, beim Raclette vier Monate. Im Unterschied zur Urversion des Bratkäses, als drei Wochen ausreichen mussten, dauert die Reifezeit heute deutlich länger.

Nur regionale Vermarktung

Die Nidwaldner Käser produzieren im Nachbarkanton ihr Pendant zur Obwaldner Version. Ein Unterschied macht sich bei der Rinde bemerkbar, welche beim Nidwaldner Bratkäse häufiger in der ursprünglichen Form belassen und nicht gewaschen werde, wie Felix Schibli erklärt. Trotzdem gab es vor Jahren den Versuch, unter der Marke „Unterwalder Bratkäse“ gemeinsam auf dem Markt aufzutreten. Das Unterfangen scheiterte aber schliesslich daran, dass der Marktführer aus Sarnen sich weigerte, seinen Mitbewerbern die Rezeptur zu liefern. „Bei den Tests schnitten meine Käse immer deutlich am Besten ab,“ erzählt Alois Seiler. Er kenne keinen Unternehmer, der sein Geheimnis einfach so preisgeben würde. Für den Absatz sind seither die Käser wieder selber zuständig.
Der Obwaldner Bratkäse ist ausserhalb der Zentralschweizer Kantone kaum in den Käseregalen anzutreffen. Dafür kennt ihn jedermann im Kanton Obwalden, wo die Käseschnitte nach Aussagen von Einheimischen zu jedem Fest gehört, ähnlich wie dies bei der Olma-Bratwurst in St. Gallen der Fall ist. Immer häufiger werde er zudem kalt als Tafel- oder Desserkäse konsumiert, berichtet Felix Schibli. An die Vermarktung von Bratkäse ausserhalb des Kerngebietes hat noch niemand ernsthaft gedacht. Ausschliessen will der innovative Käser aus Sarnen eine solche Aktion in Zukunft aber nicht. In seiner attraktiven Verpackung und mit seiner idealen Grösse wird der Bratkäse aus der Seiler Käserei AG schon heute häufig als besonders exklusiver Geschenkartikel geordert.
Während der Bratkäse im 19. Jahrhundert ein Grundnahrungsmittel auf der Alp war, wird heute auf den Alpen rund um den Sarnersee kaum mehr Bratkäse hergestellt. Und wenn dies getan wird, dann bestimmt nicht mehr für die Vorratskammer, sondern in erster Linie für Touristen. Allerdings stammen die vor den Alphütten aufgestellten „Bratchäsli“ nicht selten sogar aus den Käsereien im Tal. Vielen Älplern fehlen nämlich die Zeit und die Erfahrung, um richtig guten Bratkäse herzustellen.

Obwaldner Bratkäse werden hergestellt in der Seiler Käserei AG in Sarnen, Tel. 041 660 80 40 und in der Molkerei Schnider in Giswil, Tel. 041 675 11 41.

www.giswilerstock.ch

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