Beim Genfer Gemüsegärtner Jeremy Blondin messen Elektroden den Stress bei Tomaten. Seit diesem Jahr bildet die Software des Westschweizer Start-ups Vivent Biosignals auch die Nährstoffgehalte in Echtzeit ab.

Die feinen Elektroden stecken direkt im Stängel der Tomatenpflanze, so ähnlich wie eine im Unterarm angelegte Infusion bei einem Menschen. Doch wir befinden uns nicht in einem Spital, sondern im Gewächshaus von Jeremy Blondin in Perly-Certoux GE. Die Elektroden messen die elektronischen Impulse in Millivolt und leiten diese an einen Sensor weiter, welcher die Daten in Echtzeit in eine Cloud übermittelt. Dort analysiert eine Software die Informationen und bildet den aktuellen Zustand der Pflanze in einfachen Kreisgrafiken ab. Bei Jeremy Blondin bedeutet das aktuell: rot bei Kalzium und Eisen, gelb bei Kalium und Mangan dafür grün bei der Versorgung mit Wasser, Stickstoff und Phosphor. So detailliert kann die Software des Westschweizer Startups Vivent Biosignals aktuelle Nährstoff- und Wassermangel in Tomaten erst seit diesem Jahr abbilden.
Vor vier Jahren stellte das Startup Jeremy Blondin die damals noch am Anfang stehende Technologie anhand einer Basilikum-Pflanze vor. «Ich war beeindruckt, wie sich nur schon das Schütteln der Pflanze in Echtzeit auf dem Bildschirm als Reaktion abbilden liess.» Zusammen mit Gärtnerkollege Julien Stoll aus Yverdon-les-Bains waren sie die ersten Gärtnereien, die sich deshalb für Praxisversuche zur Verfügung stellten. Dabei hätten sie die Sensoren jeweils bei den gleichen Tomatensorten eingesetzt, und die Resultate verglichen. Das zeigte unter anderem, welchen Einfluss verschiedene Umgebungen und Technologien auf das Ganze haben.

Wie gut ist der grüne Daumen?
Seither sind ein paar Kulturen geerntet worden. Unter anderem dank der Kollaboration mit den beiden Westschweizer Betrieben konnte das Startup die Technologie weiterentwickeln. Mit der konkreten Abbildung von Nährstoffen und Wasserversorgung sei diese nun tatsächlich ein entscheidender Schritt weitergekommen, findet Jeremy Blondin. «Bisher sahen wir nur, dass die Pflanze Stress hatte, wussten aber nicht weshalb.» Die Daten gleicht er nun in diesem Jahr mit den von einem anderen Klimaprogramm gelieferten Informationen ab.
Viele Branchenkollegen würden sich fragen, ob die Daten wirklich stimmen. Oder anders gefragt: Bringen sie bessere Resultate in der Kultur als der «grüne Daumen» und langjährige Anbauerfahrung? Die von Vivent Biosignals abgebildeten Stresssituationen sind von vielen Faktoren im Gewächshaus abhängig. Jeremy Blondin ist überzeugt, dass solche Werkzeuge diese mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz in ein paar Jahren zuverlässig analysieren können. Die Sensoren würden dann zeigen, was in der Anlage tatsächlich vor sich gehe. «Das Ziel ist schlussendlich eine noch effizientere Produktion von Tomaten.» Es gehe darum, das Produktionsniveau mit weniger Wasser, Dünger oder Pflanzenschutzmitteln zu halten. Falls sich die Datenreihen als zuverlässig erweisen, kann sich Jeremy Blondin vorstellen, ab nächstem Jahr die Bewässerung in einem Teil des Gewächshauses versuchsweise ganz an die Software von Vivent Biosignals zu delegieren.

Früherkennung von Krankheiten
Vivent Biosignals setzt die Sensoren mittlerweile auch international ein. Beispielsweise in holländischen Gewächshäusern, aber auch im Freiland beispielsweise in Äpfeln oder Reben. Neben der Optimierung von eingesetzten Ressourcen legt das Unternehmen auch einen Fokus auf die Früherkennung von Pflanzenkrankheiten. Bei den Tomaten wären das beispielsweise Mehltau oder Blattläuse, lange bevor Schäden sichtbar werden.
So weit ist es aber noch nicht. Jeremy Blondin muss nun zuerst einmal dafür sorgen, dass seine Tomaten genug Kalzium und Eisen bekommen. Damit es auf den Grafiken im Dashboard wieder schön grün wird. n
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