Das StartUp Muddy Machines entwickelte in nur zwei Jahren einen funktionierenden Ernteroboter für Grünspargel. Auf einem grossen britischen Spargelanbaubetrieb soll er im nächsten Jahr zur Serienreife gebracht werden.
Wie kommt man auf die Idee, einen Ernteroboter für Grünspargel zu bauen?
Florian Richter: Die Familie meiner Frau bewirtschaftet seit zehn Jahren einen Bauernbetrieb in Portugal, wo ich gesehen habe, was Langfristigkeit und Nachhaltigkeit wirklich bedeutet. Ich selbst war bisher im eher kurzlebigen Startup-Umfeld tätig. Nachdem ein solches Business wieder einmal endete, fragte ich mich, ob ich nicht etwas mit einer längeren Perspektive machen sollte. Da bot sich für mich eben die Landwirtschaft an. Ich dachte an eine intelligente Maschine, die den Landwirten hilft. Ich fand mit Chris Chavasse einen Gründungspartner, der zuvor als Ingenieur bei der Technologie-Firma Dyson arbeitete, und entsprechend über viele Fähigkeiten insbesondere in der Robotik verfügte. Wir gründeten «Muddy Machines» und suchten ein passendes Projekt in der Landwirtschaft. Uns wurde schnell klar, dass der Arbeitskräftemangel ein sehr gravierendes Problem ist. Über die global tätige Unternehmergründer-Plattform Enterpreneur First kamen wir dann im Frühling 2020 mit dem britischen Grünspargelproduzenten John Chinn zusammen. Seine Botschaft war: «Wenn ich in fünf Jahren keine Lösung habe, muss ich das Business aufgeben!»
Das Marktvolumen mit Grünspargel ist gerade in Grossbritannien überschaubar, hätte es nicht geeignetere Gemüse für die Roboterernte gegeben?
Volumenmässig scheint die Produktionsmenge in Grossbritannien tatsächlich nicht so bedeutend zu sein, doch die Nachfrage nach Grünspargel ist in Grossbritannien hoch. Und das Potenzial ist noch nicht ausgeschöpft. Zudem peilen wir langfristig auch ausländische Märkte in Nordamerika, Kanada, Mexiko oder auch Peru an, wo riesige Mengen von Grünspargel angebaut werden. Der globale Markt für Grünspargel ist stark wachsend. Die Praxisreife des Roboters wollen wir aber in Grossbritannien erreichen und von hier aus starten. Mit der engen Zusammenarbeit mit John Chinn sind die Voraussetzungen dazu ideal.
Was waren die ersten Schritte?
Chinn empfing uns noch während dem Lockdown im Mai 2020 auf dem Spargelfeld, wo wir mit einer 3D-Kamera gleich erste Aufnahmen machten, um zu sehen, ob sie die Spargelspitzen erkennt. Und das sah ganz gut aus. Der Fall ist insofern etwas einfacher, wie beispielsweise bei Beeren oder Tomaten, weil es da kein Kraut gibt und es nicht so auf Farben ankommt. Er stellte uns schliesslich im Folgejahr einen Container mit einem permanenten Feldoffice neben dem Spargelfeld zur Verfügung, wo wir uns mit einem ersten Prototypen einrichteten und uns zusätzliche Informationen vor Ort beschafften. Es stellten sich unter anderem folgende Fragen: Wie unterscheidet ein Roboter Unkraut von Spargel? Lässt er sich von herumliegenden Spargelresten irritieren? Wie geht er mit engstehendem Spargel um? Oder wie hoch über dem Boden soll er den Spargel schneiden?
Der Prototyp begeisterte John Chinn derart, dass er gleich hundert Stück des kleinen Ernteroboters bestellte. Wie ist der aktuelle Stand?
Diese konkrete Absichtserklärung war natürlich hilfreich. Es half uns auch beim Zugang zu staatlichen Fördergeldern und zu privaten Investoren. Die Praxisnähe und unser klarer Fokus mit dem realen Absatzpotenzial kamen bei diesen gut an. Dank diesen Geldern können sich an unserem Standort in London mittlerweile 15 Leute um die Weiterentwicklung kümmern. Zudem müssen wir uns dank John Chinn über den mittelfristigen Absatz keine Sorgen machen. Dazu muss es der Sprout allerdings zur Serienreife schaffen. Bei der zweiten Generation des «Sprout» konnten wir bei der diesjährigen Ernte weitere Praxiserfahrungen sammeln und die Erkenntnisse vertiefen. Der Sprout funktionierte bereits recht gut und kam auf eine Bilderkennungsrate von 95 Prozent. Nun bauen wir fünf Sprouts der dritten Generation, die im nächsten Jahr in Langzeit-Feldversuchen eingesetzt werden.
Wie viele Arbeitskräfte wird der Sprout ersetzen?
Voraussichtlich zwischen drei und fünf Personen. Im Vergleich zum Menschen macht der Roboter aber keine Pause und kann je nach Batterieleistung 16 Stunden durcharbeiten. Bis jetzt schafft er 900 bis 1000 Schnitte pro Stunde. Allerdings ist die Geschwindigkeit eigentlich weniger entscheidend als die Genauigkeit. Hier hilft ihm seine Künstliche Intelligenz (KI) und neuste Sensortechnologie.
Der Ernteroboter ist klein, ein Betrieb wie der von John Chinn braucht während der Spargelernte theoretisch 200 Stück, um alles Personal zu ersetzen. Sollte der Roboter nicht etwas grösser sein?
Das Gerät darf nicht zu schwer werden. Zudem steigt bei grösseren Versionen die Komplexität und damit die Anfälligkeit, weil sie mit mehr Greifarmen mehrere Reihen gleichzeitig abernten. Die Schwarmtechnologie erscheint uns hier zielführender. Es ist zudem weniger gravierend, wenn einmal ein Gerät ausfällt, als wenn beispielsweise ein Mähdrescher kaputt ist und alles stillsteht. Doch eigentlich gehen wir als Unternehmen sowieso mehr Risiken ein als der Kunde: Wir streben ein Vermarktungsmodell an, bei dem wir den Sprout an die Landwirte vermieten und diese uns nach Leistung bezahlen. Im nächsten Jahr wird uns John Chinn übrigens bereits aufgrund der geernteten Spargelmenge entlöhnen. Sie sehen, wir sind hier bereits sehr nah an der Praxis.
Die Erntezeit für Grünspargel beläuft sich auf maximal 12 Wochen. Was macht der «Sprout» in der restlichen Zeit des Jahres?
Das ist tatsächlich ein wichtiger Punkt. Unsere Ingenieure sind bereits am Austesten von möglichen anderen zu erntenden Gemüsen, wie Zucchini oder Brokkoli. Damit würde sich die Anwendungszeit um weitere sechs Monate erhöhen. Auch deshalb verfolgen wir einen speziellen modularen Ansatz, mit getrennten Komponenten. Dabei dient der Sprout eigentlich «nur» als intelligentes Fahrgerät, der Harvester für den Grünspargel ist als eigenständige Einheit aufgebaut, die sich leicht austauschen lässt. Zum Beispiel durch einen Ernter für Brokkoli, der ganz andere Aufgaben erfüllen muss. Zum ganzen Paket gehört immer eine ausgefeilte, verlässliche Software. Die App zeichnet die Ernteleistung in Echtzeit auf. Und natürlich werden laufend Daten gesammelt, die dem «Sprout» die Arbeit erleichtern und zu immer besseren Resultaten führen.
Können dereinst auch einmal Schweizer Spargelanbauer vom «Sprout» profitieren?
Die Schweiz gehört in der ersten Phase nicht zum Zielmarkt. Unser Anspruch ist, dass wir innerhalb von einer Stunde beim Kunden auf dem Feld sein können. Das wollen wir mit einem Netzwerk von Support-Zentren vorerst in Grossbritannien erreichen. Wenn sich das Ganze in ein paar Jahren einmal in der Praxis etabliert hat, können wir uns vorstellen, die Leinen etwas zu lockern. Gut möglich, dass der «Sprout» dann auch auf Schweizer Spargelfelder losgelassen wird.
Florian Richters Familie betreibt einen grossen landwirtschaftlichen Betrieb in Portugal. Er ist in Niedersachsen, Deutschlands wichtigster Spargelregion, aufgewachsen. Er arbeitete bei Google, SumUp und Bookatable. Er gründete mehrere B2B- und SaaS-Unternehmen in verschiedenen Sektoren und skaliert und beschaffte bisher für «Moody Machines» über 4 Millionen Pfund an Finanzmitteln |
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