Vertical Farm: Mehr Wald anstatt Gemüseacker

Der Däne Anders Riemann investierte sein ganzes Geld in den Bau einer Verticalfarm. Den Strom für die Produktion bezieht er ausschliesslich von Windrädern. Das künstliche Licht für die Salate und Kräuter steuert er dann nach dem Strompreis. 

Anders Riemann gründete in Dänemark die grösste Vertical Farm Europas. 

Vor neun Jahren beendete Anders Riemann sein Leben als Investmentbanker um sich einer sinnvolleren Tätigkeit zu widmen. Er machte sich intensive Gedanken und Sorgen über den Klimawandel, wobei er die Abholzung von Wäldern als wichtigen Faktor für die Misere ausmachte. «Auf den ehemaligen Waldflächen produziere die Landwirtschaft heute Nahrungsmittel», sagt er. Gerade in seiner Heimat Dänemark gilt dies in besonderem Masse, nur noch ein Achtel der Landflächen besteht dort aus Wald. Und die exportorientierte Landwirtschaft gilt als eine der Intensivsten überhaupt. Riemann begann also darüber nachzudenken, wie man Nahrungsmittel auf weniger Raum produzieren kann, damit der Wald wieder mehr Platz erhält. Nach zwanzig Stunden Recherche fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Vertical Farming war die Lösung. Damit war es passiert. Er reiste nach New York, um sich aus erster Hand beim pensionierten Professor Dickson Despommier zu informieren, der in der Szene weltweit als Wegbereiter des Vertical Farmings gilt. Er öffnete Riemann sein Netzwerk und half ihm als Berater bei der Umsetzung seiner Vision. Nachdem er die ersten vier Jahre viel eigenes Geld ins Projekt steckte, konnte er Anfang 2020 einen ersten Investor gewinnen, der 9 Millionen Euro zur Verfügung stellte. 

Heute steht das Fabrikgebäude von Nordic Harvest vor den Toren Kopenhagens in Taastrup. Es ist 20 Meter hoch und hat eine Fläche von 12 000 Quadratmetern. Darin wachsen auf rund 7000 Quadratmetern und 14 Etagen Salate und Kräuter in klinisch sauberster Atmosphäre. Es ist die grösste Vertical Farm in Europa. Sie ist mehr als zehn Mal grösser als die einzige derartige Anlage in der Schweiz: das Start-Up Yasai kommt aktuell auf 600 Quadratmeter Anbaufläche. 

Die geschnittenen Salate werden in Supermärkten in Dänemark verkauft.

Frei von Keimen

Bei voller Auslastung  verlassen rund 1000 Tonnen frische Salate das Gebäude pro Jahr in Richtung Supermärkte in ganz Dänemark. «Draussen bräuchte es dafür 250 Hektaren Anbaufläche», erklärt Riemann. Die Abnehmer bezahlen ihm für die aktuelle Produktion einen rund 20 Prozent höheren Preis als für konventionelle Salate was im Bereich der biologischen Produkte liegt. Und das ist für ihn nichts anderes als logisch: «Unsere Salate sind absolut frei von Pestiziden, brauchen viel weniger Wasser, enthalten mehr Nährstoffe, verursachen kaum Abfälle und wachsen CO2-neutral». Er ärgert sich darüber, dass er sie nicht mit einem Biolabel ausstatten darf, was beispielweise in den USA oder Kanada erlaubt sei. Viele Konsumenten wüssten gar nicht, wie biologisches Gemüse im Freiland produziert werde, dass dort beispielsweise die Böden mit Hitze sterilisiert würden, für die es Tausende von Litern Diesel benötige. 

Es hat noch Platz für mehr Regale.

Bei Nordic Harvest braucht es das nicht, denn die Umgebung ist hermetisch abgeriegelt von der Aussenwelt und potentiellen Störelementen wie Bakterien, Pilzen oder Insekten. Riemann ist überzeugt: «Wir können alle Faktoren, die das Pflanzenwachstum beeinflussen zu hundert Prozent kontrollieren.» Die Samen werden vorab mit heissem Wasser von möglichen Keimen gereinigt, ehe sie unter künstlichem Licht zum Wachstum ansetzen. CO2 wird in der passenden Menge verabreicht. Die Wurzeln wachsen nur im Wasser, das mit einem Anteil von 0.5 Prozent Nährflüssigkeit angereichert ist. Bei den geernteten Pflanzen müssen zudem keine Resten von Erden abgewaschen werden, womit ein weiteres potenzielles Infektionsrisiko wegfalle. 

Ideal für Nutzung erneuerbarer Energien 

Wenn Riemann von Mikromol spricht, dann meint er die Optimierung der Photosynthese mittels Steuerung der Belichtung. «Mit unserer Technologie können wir den Pflanzen exakt die Lichtmenge geben, die sie absorbieren können.» Die Wachstumsphase dauert zwischen 17 und 22 Tage. Am Anfang ist das Licht eher blau, gegen Ende rot. Nur 27 Prozent des in den LED-Lampen verwendeten Stroms wird in Licht umgewandelt, der Rest geht als Wärme ab, die aber nicht verloren ist sondern in der Anlage genutzt wird – als einzige Wärmequelle. Zudem würden sich die Lampen laufend weiterentwickeln. Alle zwei Jahre finde eine Leistungssteigerung von 10 Prozent statt. Das heisst: mit gleich viel Strom zehn Prozent mehr Ertrag. 

Den Strom bezieht Nordic Harvest ausschliesslich von Windfarmen. Pro Tag brauchen die Pflanzen 18 Stunden Licht. «Wir steuern das Licht nach dem Strompreis, der wegen der Überproduktion in der Nacht oft günstiger ist», erklärt Riemann. Vertical Farming werde so zur idealen Ergänzung von erneuerbaren Energiesystemen, um Stromschwankungen abzufedern. Künftig möchte er die Überproduktionen in Batterien auffangen, um noch flexibler zu werden. 

In 15 Minuten geerntet und verpackt

Zurzeit verkauft Nordic Harvest folgende Produkte fertig geschnitten in Verpackungen aus rezykliertem Plastik: Baby-Eisberg, Baby-Rucola, Baby-Grünkohl, Baby-Romana sowie Rucola. Pro Jahr finden bis zu 17 Ernten statt, dabei dauert es maximal 15 Minuten, bis die Ernte gekühlt und verpackt im Kühler ankommt. Nächstens sollen Erdbeeren und Heidelbeeren dazukommen, langfristig auch Wurzelgemüse und Kartoffeln. 

Das Produktionsverfahren werde laufend optimiert, erklärt Riemann. Vor allem bei der Automatisierung gebe es noch viel Potenzial für Kostensenkungen. Natürlich denkt er auch schon an Expansion, die aber zuerst in den nordischen Ländern stattfinden soll. «Mit den langen Wintern sind diese Regionen prädestiniert für die ganzjährige Produktion, um den Anteil der einheimischen Produktion zu erhöhen und die Importe zu reduzieren.» Riemann ist überzeugt, dass solchen Vertikalen Farmen insbesondere in Grossstädten die Zukunft gehört.

www.nordicharvest.com

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