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«Wir müssen uns auf jeden Fall anstrengen, um im Markt bleiben zu können!»

Der neue Direktor des Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW) glaubt, dass sich die Öffnung der Märkte nicht aufhalten lässt. Der Einkaufstourismus zeige schon heute, wie der Grenzschutz laufend durchlässiger werde. Den Gemüseproduzenten rät er, auf Frische und Regionalität zu setzen.

Herr Lehmann, welchen Bezug haben Sie persönlich zu Gemüse?
Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen. Im Garten meiner Mutter lernte ich, wie Gemüse produziert wird. Heute pflege ich bei mir zu Hause einen kleinen Gemüsegarten. Ich habe sogar ein kleines Gewächshaus für Tomaten. Manchmal gehe ich dort um fünf Uhr morgens rein, weil es so angenehm riecht. Wurde ich früher für meine Hobbygärtnerei eher belächelt finden die Leute das heute wieder cool. So ändert sich der Zeitgeist.

Wie erleben Sie den professionellen Gemüseanbau?
In meiner Freizeit fahre ich oft mit dem Fahrrad an Gemüsefeldern vorbei, und von denen gibt es im Aargau ja einige. Ich sehe dort technisch interessante Maschinen und beobachte Menschen, die manchmal sogar liegend arbeiten. Das Ganze ist sehr personal- und kapitalintensiv.

Kürzlich sagten Sie an einem Referat, dass der Materialbestand in der Schweizer Landwirtschaft zu hoch sei. Gilt das auch für die Gemüsebranche?
Die Frage ist bei der Mechanisierung immer, wie viel eine Maschine pro Jahr gebraucht wird. Im intensiven Gemüseanbau dürfte die Auslastung hoch sein. Daher glaube ich nicht, dass hier eine Übermechanisierung vorhanden ist. Allgemein sprechen wir aber in der Schweizer Landwirtschaft bei Gebäuden und Maschinen von einer Abschreibungssumme von 2,15 Milliarden Franken. Das ist mengenbedingt ein Drittel höher als in mit der Schweiz vergleichbaren Regionen im Ausland.

An was liegt das?
Der Schweizer Landwirt hat im internationalen Vergleich relativ hohe Einnahmen. Diese geben ihm mehr Spielraum um beispielsweise Maschinen zu beschaffen. Bei meiner früheren Tätigkeit an der ETH war ich oft im Ausland. Und dort zeigte sich immer: Wo hohe Erlöse sind, sind die Kosten hoch. Das ist keine Kritik an den Bauern sondern ein normales Verhalten. Im süddeutschen Raum beobachte ich aber, dass die Bauern bei tieferen Produktepreisen entsprechend kostenbewusster investieren. So, dass es am Ende nicht zu teuer wird.

Viele Gemüseproduzenten beklagen sich über die tiefen Abnahmepreise für ihre Produkte und sehen kaum Kostensenkungspotenzial.
Wir kommen aber kaum darum herum, die Kosten zu senken. Ich sehe jeweils an den Wochenenden die Autoschlangen von Schweizer Konsumenten, die sich nach Deutschland aufmachen um dort billiger einzukaufen. Die Situation ist mit dem aktuellen Eurokurs dramatisch: Laut einer Studie der Uni St. Gallen haben die Leute allein im vergangenen Dezember für schätzungsweise 400 bis 600 Millionen Franken im grenznahen Ausland eingekauft, darunter sicher viele Lebensmittel. Wir verlieren bei gleichbleibendem Agrarschutz also Marktanteile. Um das zu verhindern, muss die Landwirtschaft versuchen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Dabei gibt es immer eine Kosten- und eine Leistungsseite.

Die Branche ist aber eher der Meinung, dass sich die Zitrone kaum mehr auspressen lässt. Sie fürchtet sich vor der billigen Konkurrenz aus dem Ausland und bekämpft deshalb ein Freihandelsabkommen mit der EU. Wie ist hier der Stand der Dinge?
Einerseits haben wir die parlamentarischen Vorstösse gegen ein Abkommen mit der EU. Andererseits wird zurzeit nicht verhandelt, weil die institutionellen Fragen offen sind und die EU zuerst Klarheit möchte. Und weil der Ständerat die Vorstösse noch behandeln muss, wird hier Zeit ins Land gehen. Es wird sicher nicht so schnell gehen, wie der Bundesrat einmal angekündigt hatte. Der Einkaufstourismus zeigt aber klar, dass die Grenzen selbst mit dem aktuellen Grenzschutz laufend durchlässiger werden. Diese Entwicklung lässt sich nicht aufhalten. Wir müssen uns auf jeden Fall anstrengen, um im Markt bleiben zu können. Das ist für mich das Wichtigste.

Und andere bilaterale Abkommen sind in der Pipeline.
Abkommen mit Drittländern werden tatsächlich viel schneller Realität werden, als ein Freihandelsabkommen mit der EU. Mit Indien und China beispielsweise. Die Chinesen sind sehr erpicht auf europäische Märkte. Auch im Rahmen bereits bestehender Freihandelsabkommen kann eine Ausweitung im Agrarbereich gewünscht werden. (Anmerkung der Redaktion: zum Beispiel die Türkei). Natürlich gibt es immer Schweizer Produkte, die konkurrenzfähiger sind und solche, für die das Ganze eher eine Gefahr ist.

Für die Gemüseproduzenten ist klar, dass sie in die zweite Kategorie gehören.
Nein, das würde ich nicht so sagen. Man muss auf  Vorteile in der Frische und der lokalen Herkunft setzen. Zudem wird die Nachhaltigkeitskomponente wichtiger werden. Weite Transporte werden sicher problematischer werden. Schwieriger dürfte es aber für austauschbare «No Name»-Produkte wie Konservengemüse oder verarbeitete Lagergemüse werden. Diese sind mit praktisch identischen Produkten konfrontiert, die an anderen Orten der Welt mit viel tieferen Kosten produziert werden können.

Welche Mittel bietet das Bundesamt für Landwirtschaft an, um der Branche bei der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit zu helfen?
Die Investitionskredite sind ein Mittel. Zudem soll es künftig eine Möglichkeit geben, Geld zu erhalten für besonders innovative Projekte mit guten Zukunftschancen. Wir sprechen hier von sogenannten Leuchtturmprojekten. Sie sollen Schwung in die Branche bringen und das Unternehmertum fördern. Ob es dabei um die Entwicklung von neuen Produkten geht oder beispielsweise um spezielle nachhaltige Energiesysteme ist offen. Gute Ideen sind gefragt. Ich denke hier beispielsweise an vertikale Anbaukonzepte auf Substraten in Stadtnähe dem sogenannten «urban farming», in einem geschlossenen, umweltfreundlichen System. Es wäre etwas Neues in der Schweiz, auf teurem Boden mehrstöckig Gemüse anzubauen. Es gibt bereits viel Literatur darüber.

Das scheint mir nun doch etwas abgehoben, – muss es aber vielleicht auch sein. Hat sich die Gemüsebranche bereits mit Ideen eingebracht?
Ja. Es gibt beispielsweise in der Westschweiz ein regionales Projekt, bei dem es auch um die Nutzung von alternativen Energien für die Gemüseproduktion geht.

Trotzdem: Um ihre Kosten zu senken, müssten die Gemüseproduzenten die Möglichkeit haben zu wachsen. Ursprünglich sah das Reformpaket AP2014-17 eine Heraufsetzung der notwendigen Standardarbeitskraft (SAK) vor, die zum Bezug von Direktzahlungen berechtigen. Dieser Teil wurde nun gestrichen, Agrarland bleibt so doch blockiert?
Diese Diskussion wird falsch geführt. Potenziell hätte es in der Talzone 2000 Betriebe getroffen. Es ist aber überhaupt nicht sicher, ob diese ihre Flächen einfach so weitergegeben hätten. Und ob diese sich für den Anbau von Gemüse geeignet hätten wäre noch eine andere Frage. Würde man im Extremfall von einer Fläche von 15 000 Hektaren ausgehen, die frei geworden wären, dann wäre das erst rund die Hälfte des heute nicht überbauten Baulandes. Letzteres verhindert doch eigentlich, dass Betriebe wachsen können. Zudem gilt bei Betriebsübernahmen eine SAK von 1.0. Erfüllt ein Betrieb diese nicht, hat er keinen Anspruch auf Investitionskredite. Diese Hürde ist hoch.

Das Reformpaket AP 2014-17 baut weiterhin stark auf Direktzahlungen. Diese haben aber für die Gemüseproduktion mit ihren hohen Umsätzen pro Hektare eine eher geringe Bedeutung. Wenn der Grenzschutz wegfällt sind die Gemüseproduzenten aber auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Wie könnte diese aussehen?
Mit den Direktzahlungen wollen wir gemeinwirtschaftliche Leistungen  finanziell fördern und damit auch einen Ausgleich schaffen, wenn unterschiedliche Produktionsanforderungen beispielsweise beim Umweltschutz zwischen In- und Ausland bestehen. Ich weiss aber, dass im Gemüsebau die Direktzahlungswirkung wegen des höheren Umsatzes pro Hektare tiefer ausfällt. Da wir Gemüse bei offenen Grenzen als sensibles Produkt einordnen, wären im Falle eines umfassenden Freihandelsabkommens mit der EU sicher Begleitmassnahmen nötig. Das oberste Ziel muss sein, die inländischen Marktanteile mit der hohen Qualität zu erhalten. n

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