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Bio-Frosterei an der Nordseeküste

In Dithmarschen in Schleswig-Holstein liegt das grösste zusammenhängende Anbaugebiet
für Biogemüse Europas. Mittendrin ist die Westhof Bio, welche den Takt angibt. Seit ein paar Monaten auch mit einer Frosterei, betrieben nur mit erneuerbaren Energien.

Rainer Carstens baut in Norddeutschland Biogemüse im grossten Stil an.

E

s begann vor bald 50 Jahren in Friedrichsgabekoog, nicht weit weg von der Nordsee.  Die Marschböden in der Region Dithmarschen in Schleswig-Holstein sind sehr fruchtbar. «Ideal für den Anbau von Gemüse», so Rainer Carstens. Zehn Jahre nach der Übernahme des damals 60 Hektar grossen elterlichen Landwirtschaftsbetriebs stellte er im Jahr 1989 komplett auf Bio um. Anstatt Zuckerrüben und Getreide wie üblich setzte er als erster in der Gegend auf Gemüse.Der Einstieg erfolgte mit Biogemüse für die Industrie, mit dem Babynahrungshersteller Hipp als Hauptabnehmer. Etwas später startete Carstens mit dem Anbau von Frischgemüse, für das er aber zuerst einen Absatzkanal schaffen musste. Im Jahr 2000 schloss sich Carstens mit seinem Nachbarn Heinrich Dörschner zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) zusammen. Daraus ergab sich eine äusserst fruchtbare Arbeitsteilung: «Mein Nachbar übernahm von da an die Landwirtschaft und ich kümmerte mich vor allem um die Vermarktung.» Und das tat er sehr erfolgreich, wie sich heute zeigt. Eine Vermarktungsgemeinschaft mit umliegenden Biobetrieben kam dazu. Mit den Jahren ist so mit rund 4000 Hektaren eines der grössten zusammenhängende Biogemüse-Anbaugebiete in Europa entstanden. Mit «Westhof Bio» als Taktgeber, welche auch die Vermarkung dieses Gemüses übernimmt.  

Konsequent nachhaltig

Heute zählt der Betrieb «Westhof Bio» mit rund 1200 Hektaren Anbauflächen – davon 260 ha Eigenland – und 10 Hektaren Gewächshäusern zu den grossen Nummern im Biogemüse-Anbau in Europa. Rund 30 000 Tonnen Frischgemüse kommen so pro Jahr zusammen. Die Hauptprodukte im Freiland sind Karotten, Erbsen, Blumenkohl, Brokkoli, Randen, Zuckermais, Spinat und Grünkohl. Dazu kommen Tomaten, Paprika und Gurken aus den Gewächshäusern. Rainer Carstens ist durch und durch ein Überzeugungstäter, was «Bio» anbelangt. Grundpfeiler der ursprünglichen Bio-Philosophie, wie der Verzicht auf chemische Pflanzenschutzmittel oder möglichst geschlossene Nährstoff-Kreisläufe sind bei ihm unantastbar. Dafür greift er aber nicht in die Mottenkiste, sondern setzt auf moderne Methoden und Technologien. 

Wärme aus der Biogasanlage 

Auf rund einem Drittel der Fläche stehen auf dem Westhof Klee und Blühwiesen während zwei Jahren in einer sechsjährigen Fruchtfolge. Carstens gönnt dem sonst intensiv mit Gemüse bewirtschafteten Boden damit die nötige Erholungspause. Die Blumenwiesen tragen zur Artenvielfalt bei, der Klee bindet den natürlichen Stickstoff aus der Luft im Boden. Davon profitieren die Folgekulturen. «Beim Stickstoff sind wir mittlerweile autark», sagt er stolz. Rund 12 000 Tonnen Schnitt von den Blühwiesen und Klee gehen zusammen mit jährlich über 6000 Tonnen Gemüserüstabfällen in die eigene Biogasanlage. Dazu kommt etwas Mist von Kühen, die «Westhof Bio» aus seiner Futter-Mist-Kooperation bezieht. Eine solche ist nötig, weil der Betrieb neben dem Naturland- und Biolandlabel auch die strengen Demeter-Vorschriften erfüllt. Die Biogasanlage mit zehn Blockheizkraftwerken steht gleich neben dem Gewächshaus, und beliefert dieses jährlich mit rund 30 Millionen Kilowattstunden Wärme und 35 Millionen Kilowattstunden Strom. Speziell hier: Das dabei entstehende CO2 wird gereinigt und als Dünger in den Gewächshauskulturen verwendet. Passend zur Vision von Carstens: «Wir wollen hier nur noch mit regenerativen Energien arbeiten.» Solarmodule auf den Dächern und auf dem Bewässerungsteich ergänzen den eigenen, erneuerbaren Strommix zusammen mit Strom aus einem Windrad, an dem sich der Betrieb beteiligt hat.

Setzt auf regenerative Landwirtschaft

Wie beim Betrieb erscheinen auch die Maschinen in etwas grösseren Dimensionen: Die eigenen Mechaniker überholen in der Maschinenhalle gerade riesige selbstfahrende Erntemaschinen für Spinat und Karotten. Zudem steht da auch eine grosse Pflanzenschutzmittel-Spritze. «Damit besprühen wir die Böden mit Spurenelementen und anderen natürlichen Produkten», erklärt Carstens. Denn seit ein paar Jahren arbeitet der Betrieb auch nach den Prinzipien der regenerativen Landwirtschaft. Bei dieser stehen lebendige, fruchtbare Böden im Zentrum. «Wir düngen nicht mehr die Pflanze, sondern den Boden.» Die Gärreste aus der Biogasanlage werden während vier Wochen mit speziellen Mikroorganismen behandelt, ehe sie auf den Acker zurückkommen und den Kreislauf schliessen. Die Bodenorganismen könnten die Gärreste dann viel besser verwerten, so Carstens.

Laserroboter entwickelt

Unkraut zählt zu den grossen Herausforderungen des biologischen Landbaus und bindet bekanntlich viele teure Arbeitsstunden. Robotik und künstliche Intelligenz sollen hier Abhilfe schaffen. Seit über zehn Jahren arbeitet «Westhof Bio» mit Technologiepartnern an der Entwicklung eines Jätroboters. Das erste Modell war noch selbstfahrend und mit mechanischen Bekämpfungstools unterwegs. Die aktuelle Version ist nun am Traktor angehängt. Ein schweres Notstromaggregat versorgt den Roboter von dort mit Strom für den Laser. Kameras erkennen das Unkraut, senden die Bilder an eine inzwischen patentierte Software, welche dafür sorgt, dass ein Laserstrahl auf die identifizierte Pflanze abgegeben wird. «Pro Sekunde vernichtet er acht Unkräuter pro Reihe», sagt Carstens. Abhängig vom Unkrautbefall, behandle er die acht Reihen in einer Stunde von einer Strecke von bis zu 600 Metern. Die Software erkenne mehrere verschiedene Kulturen wie beispielsweise Karotten, Randen oder Zwiebeln recht zuverlässig. Jetzt werde das Ganze in diesem Jahr noch einmal ausgiebig getestet. «Wenn er wirklich gut funktioniert, würden wir in die Produktion gehen», so Carstens. Das Gerät will er auch an andere Gemüsebau-Betriebe verkaufen. 

Rainer Carsten von dem selbstentwickelten Jätroboter.

Modernste Gemüse-Frosterei in Deutschland


Auf modernste, umweltfreundliche Technologie setzt Carsten auch bei seiner jüngsten Errungenschaft. Auf dem Gelände des ursprünglichen Familienbetriebs steht seit letztem Jahr die einzige reine Bio-Gemüse-Frosterei in Deutschland. Kostenpunkt: 74  Millionen Euro. Sie verarbeitet auch Gemüse von umliegenden Biobetrieben. Neben viel verbautem Stahl und Blech ist die Fabrik vollgepackt mit neuester Technologie für eine möglichst energie- und kosteneffiziente Produktion. Frisch geerntet werden Spinat, Erbsen, Zucchini, Fenchel und andere Gemüse gewaschen, geschnitten, blanchiert und schliesslich eingefroren und nach Bedarf ausgeliefert. Durch die vollautomatisierte Anlage laufen viele Meter an Fliess- und Rollbändern, Roboterarme greifen nach den Kisten mit dem tiefgefrorenen Gemüse, Verpackungsmaschinen füllen die Kartons in verschiedenen Grössen ab. Carstens schmunzelt: «Nur der Computer weiss, wo die Ware eingelagert ist.» 10 Tonnen pro Tag schafft die Anlage und das unter äusserst effizienter Verwendung von Energie, die auch hier ausschliesslich aus regenerativen Quellen stammt. Aktuell werden in der Frosterei jährlich 8 000 Tonnen Bio-Gemüse verarbeitet. Bis 2028 wird ein Produktionsvolumen von 25 000 Tonnen Tiefkühlgemüse angepeilt.

In Friedrichsgabekoog steht die grösste Bio-Frosterei Europas.

Hochtemperaturspeicher aus Stahl

Die Bio-Frosterei auf rund 10 000 Quadratmetern Fläche ist netzdienlich ins lokale Stromnetz eingebunden. Was heisst das? An sonnigen oder besonders windigen Tagen stösst das Stromnetz in Norddeutschland oft an seine Grenzen und kann die Windenergie nicht mehr aufnehmen. Jetzt kommt der Hochtemperatur-Stahlspeicher in der Frosterei ins Spiel: Er speichert überschüssigen erneuerbaren Strom als Hitze im Stahlkern und entlastet so vorübergehend das lokale Stromnetz. Die gespeicherte Energie – bis zu 20 000 Kilowattstunden – nutzt die Fabrik bei Bedarf als Prozesswärme oder -dampf in der Frosterei. Ins System eingebunden ist auch der Tiefkühler mit dem Lager. «Ist wenig Strom auf dem Markt, lassen wir die Temperaturen dort um zwei bis drei Grad ansteigen», erklärt Carstens. Bei einem Stromüberschuss werden die Temperaturen dann wieder gesenkt. Die Anlage ist seit letztem Jahr in Betrieb. Trotz dezentralem Standort landet immer mehr Biogemüse auch aus anderen Regionen auf den Fliessbändern. Rainer Carstens kennt einen Grund: «Immer mehr Hersteller von Tiefkühlgemüse geben aus Kostengründen ihre Bio-Verarbeitungslinien auf.»

Die Frosterei ist ein Generationenprojekt, welches «Westhof Bio» in Zukunft weiteres Wachstum bescheren soll. Verwaltet wird dieses von den zwei Töchtern und den zwei Söhnen, welche die Leitung des Betriebs bereits übernommen haben. Auch die Hofnachfolge hat Carstens ganz nach seinen Prinzipien der Nachhaltigkeit gelöst.

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