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Wie weiter mit den Moorböden?

Der «Gemüsegarten der Schweiz» ist auf Torf gebaut, der kontinuierlich schwindet und dabei CO2 verliert. Klimaschützer wollen die Produktion deshalb extensivieren, die Landwirte haben andere Lösungen.

Ganze Eichenstämme kamen jeweils zum Vorschein als Lorenz Gutknechts Vater vor über 30 Jahren seinen Karottenacker pflügte. Vielleicht Schwemmholz aus dem Neuenburgersee, der vor ein paar Tausend Jahren nach Ende der letzten Eiszeit bis hier nach Ins reichte. Ab dem 16. Jahrhundert war das heutige Berner Seeland häufig überschwemmt und ein grosses Sumpfgebiet. Erst mit den beiden Juragewässerkorrekturen im 19. und 20. Jahrhundert wurde das Gebiet entwässert und schliesslich zu dem was es heute ist: Der Gemüsegarten der Schweiz. Mit Drainagen werden die Äcker bis heute mehr oder weniger zuverlässig entwässert und ermöglichen erst deren Kultivierung. Die Kehrseite der Medaille: Der torfige Boden trocknet aus, verliert permanent organische Masse und schrumpft um jährlich rund einen halben Zentimeter. Drainagen kommen immer näher an die Oberfläche und müssen saniert werden. Kommt dazu, dass bei der Oxidation viel CO2 entweicht, was bekanntlich schlecht für das Klima ist. Dies führt natürlich zu Diskussionen. Umwelt- und Bodenschützer wollen die Produktion auf den Seeländer Moorböden vor allem aus Klimaschutzgründen zurückfahren. Bei den Landwirten geht es aber um Sein oder Nichtsein.

Im Grossen Moos wird intensiv Gemüse angebaut.

Böden mischen

Seit Jahrzehnten investieren die Bauern hier viel Zeit und Geld, um die heiklen Böden in den Griff zu bekommen. Gemüseproduzent Lorenz Gutknecht erinnert sich, wie sein Vater vor über dreissig Jahren die Parzelle gleich neben dem Haus mühsam mit Sand aufschüttete und mit dem restlichen Boden vermischte. Es sei wohl nicht ganz optimal verlaufen, sagt er heute. «In den ersten paar Jahren wuchs das Gemüse auf dieser Parzelle nicht ideal.» Aber heute sei sie eine seiner produktivsten Fläche. Er ist überzeugt, dass die Fruchtbarkeit von vielen Böden in der Region mit den heutigen technischen Möglichkeiten erhalten werden kann. Beispielsweise mit der Tiefenrotationsspatenmaschine vom Bodenrekultivierer Peter Zurbuchen aus der Ostschweiz, der sandige Schichten aus dem Untergrund mit dem Oberboden vermischt. Zurbuchen hat mit diesem Verfahren bereits einige Böden im Seeland aufgepeppt. Er ist überzeugt: «Der Bodenrückbildungsprozess der Moorböden lässt sich dadurch sicher verkürzen, wenn nicht sogar aufhalten.» Vor einem Jahr hat Gutknecht 4 Hektaren seiner Anbaufläche in einer Tiefe von 1.3 Metern von ihm mischen lassen. Für ihn haben sich die Kosten von rund 4000 Franken pro Hektare auf jeden Fall gelohnt: «Schon nach einem Jahr haben wir dort sehr gute Erträge», sagt er. Allerdings haben nicht alle in der Gegend das Glück, dass im Untergrund eine fruchtbare, mineralische Schicht vorhanden ist wie bei ihm. Wer Pech hat, stösst auf schlechtes Material wie Seekreide oder Ton – im Volksmund «Lätt» genannt. Und hier liegt der Hund begraben, bei all den Diskussionen um eine künftige nachhaltige Nutzung des Grossen Mooses: Kaum jemand weiss genau, wie die Böden im Untergrund wirklich aussehen. Und die geologische Situation ist viel komplizierter, als es den Anschein macht. Denn in der letzten Eiszeit machte sich hier der Rhone-Gletscher breit und schob entsprechend viel Gestein herbei, der Neuenburgersee brachte später den Sand. Die Parzellen sind deshalb sehr unterschiedlich und reichen von heute noch zwei Meter mächtigen Torfschichten bis zu mineralischem Boden oder eben «Lätt», der an manchen Stellen bereits zum Vorschein kommt. Eigentlich müsste die Bewirtschaftung der jeweiligen Bodenbeschaffenheit angepasst werden: Die angedachten Möglichkeiten reichen von der totalen Extensivierung ohne Entwässerung, dem Anbau von sogenannter Paludikultur wie beispielsweise Schilf als Energiepflanze, der Beibehaltung der bisherigen Bewirtschaftung als «normale» Ackerfläche bis zum visionären Extremszenario Gewächshaus mit bodenunabhängiger Produktion im Sinne von Vertical Farming.

Es braucht mehr Informationen

Gemüseproduzent Lorenz Gutknecht im Gespräch mit Peter Trachsel von der Bodenschutzfachstelle des Kantons Bern und der Bodenkunde-Professor Stéphane Burgos von der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL).

Peter Trachsel von der Bodenschutzfachstelle des Kantons Bern und der Bodenkunde-Professor Stéphane Burgos von der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) arbeiten zurzeit an der Entwicklung einer Methode zur Kartierung der Böden im Berner Seeland. So sollen mehr Informationen als Entscheidungsgrundlage für zukünftige Massnahmen beschafft werden. Im Kaffeeraum von Lorenz Gutknecht hören sie sich aufmerksam seine Geschichte an. Sie ist eng mit den Torfböden verbunden. Gutknecht hat seine Bewirtschaftungsweise in den letzten Jahren angepasst. «Wenn wir uns nicht ändern, werden wir verändert», sagt er pragmatisch. Er wehrt sich gegen das schlechte Image der Gemüseproduzenten: Heute werde bei ihm beispielsweise kaum mehr bei nassem Wetter geerntet, wie das früher noch der Fall war. Er legt Grasstreifen gegen Erosionsverlust an, sät Gründüngungen aus und benutzt bei seinen Geräten breite Reifen, um den Bodendruck zu minimieren. Gepflügt wird weniger, dafür viel mehr gegrubbert. «Kommt der Pflug zum Einsatz, ist das Chefsache!» Zu viel könne zerstört werden, wenn dieser nicht richtig eingestellt sei. Die Produktivität seiner Flächen kennt er ziemlich gut, aber auch er weiss nicht genau, was in den unteren Schichten liegt. Doch beim «Bärenmoos» habe es sicher noch einen Meter Humus, sagt er.

Mehr Bodenverlust auf extensiver Fläche

Nach dem Gespräch im Büro zeigt der Gemüseproduzent den beiden Bodenexperten seine Böden im Grossen Moos.

Vorbei an vom Torfschwund freigelegten Schächten führt der Gemüseproduzent die Experten heraus zum besagten Bärenmoos. Er hat dort nämlich Erstaunliches festgestellt: Die Nachbarparzelle liegt rund 40 cm tiefer als seine Fläche. Er zeigt schmunzelnd auf seine Fläche: «Hier sehen Sie meine Hardcore-Gemüsebauparzelle, auf der seit Jahrzehnten intensiv gearbeitet wird.» Nebenan hingegen wurde erst in diesem Jahr die mehrjährige Wiese umgebrochen und mit Mais bepflanzt. Die beiden Bodenfachleute sind etwas erstaunt darüber, dass der intensiv bewirtschaftete Boden offenbar viel weniger Boden verliert als die extensive Variante mit Gras. Es könnte darauf hindeuten, dass die Bewirtschaftungsart letztlich keinen entscheidenden Einfluss auf den Torfschwund hat. Denn auch im Wald nebenan senkt sich der Boden. Für ein endgültiges Urteil müsse abgeklärt werden, was in den letzten Jahrzehnten mit dieser Parzelle sonst noch passiert sein könnte, sagt Burgos. Die Situation zeigt, wie komplex und aufwändig die Kartierung und Beurteilung der Böden in der Region werden könnte.

Eine Güterabwägung ist nötig

Stéphane Burgos ist erstaunt über die trotz allem gute Qualität des Bodens auf der intensiv bewirtschafteten Gemüsefläche.

Auch wegen solchen Unsicherheiten verlaufen Diskussionen um die künftige Nutzung der entwässerten Moorböden sehr emotional und kontrovers. Ein Seeland ohne Gemüse ist hier eigentlich undenkbar, sowohl unter sozialen wie auch wirtschaftlichen Aspekten. Der Verlust von namhaften bisher noch im Boden gespeichertem CO2 und die Folgen daraus für den Klimawandel ist allerdings ein Fakt, der nicht wegzudiskutieren ist. Druck kommt hier vor allem von der Gesellschaft. Es geht also um eine Güterabwägung: Was bringt ein Wiedervernässen von Moorflächen wirklich? Wie nachhaltig ist das tiefgründige Mischen von Böden oder gar die Aufschüttung mit Humus von Baustellen?

Letztlich handelt es sich beim Grossen Moos um eine seit Jahrhunderten vom Menschen künstlich geformte Landschaft. Keiner der im 19. Jahrhundert von Malaria geplagten Bewohner im Sumpfgebiet konnte sich vorstellen, dass hier einmal Gemüse im grossen Stil angebaut würde. Die Entwässerung war ein visionäres Projekt und vor allem ein Segen für die Bewohner. Visionen sind auch jetzt wieder gefragt, nachdem das System mit den Drainagen und den vielen künstlichen Kanälen an seine Grenzen stösst. Es werde zweifellos einzelne Flächen geben, wo es mit Acker- und Gemüsekulturen schwierig werde, sagt Bodenfachmann Trachsel. «Vor allem dort, wo noch tiefgründige Torfschichten vorhanden sind». Eine Extensivierung und die damit verbundene Fixierung von CO2 im Boden, finanziert mit CO2-Zertifikaten und Direktzahlungen wäre hier ein unkonventioneller Lösungsansatz. Bodenunabhängige, intensive Gemüseproduktion in Gewächshäusern auf nicht mehr entwässerten Torfböden ein anderer, die den Seeländer Bauern wohl besser gefallen würde. Aber dies würde zweifellos die Landschaftsschützer aufs Tapet bringen. An Diskussionsstoff wird es im Seeland also in keinem Fall fehlen. Trotzdem sind möglichst bald richtungsweisende Grundsatzentscheide nötig, um den Verlust der für das Klima so wichtigen Torfschichten zu retten aber auch um Klarheit bei den betroffenen Landwirten zu schaffen.

Gemüseproduzent Gutknecht in Ins lebt im Hier und Jetzt und setzt auf Technologie und den sorgfältigen Umgang mit dem Boden. Für ihn ist klar: «Auf meinen Flächen wird noch lange Gemüse wachsen.» 

 


Gigantischer CO2-Speicher

Moorgebiete bedecken 3 Prozent der Erdoberfläche, binden aber in ihren Torfschichten ein Drittel des im Boden gespeicherten Kohlenstoffs. Das ist doppelt so viel CO2, wie alle Wälder auf der Erde binden. Laut Agroscope werden in der Schweiz rund 10700 Hektaren Moorböden als Ackerland bewirtschaftet, weitere 6700 Hektaren als Grünland. Das sind 1,7 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Heute entweichen aus den entwässerten und landwirtschaftlich genutzten Torfböden jährlich schätzungsweise 0,6 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent Treibhausgase. Werden die hiesigen Torfböden weiterhin so genutzt wie heute, hat die Schweiz bereits 9 Prozent des Treibhausgasbudgets aufgebraucht, das ihr aufgrund der Abmachungen an der UN-Klimakonferenz in Paris zur Verfügung steht.

Mehr Infos: www.bafu.admin.ch/magazin2017-4-05

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