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Agrarfreihandel: Fluch oder Segen? (SVIAL-Journal)

Die Öffnung von Agrarmärkten und der damit verbundene Freihandel werfen viele Fragen auf und bieten wenig konkrete Antworten. Aufhalten lässt sich der Zug aber nicht. Zu gross ist der Druck der übrigen Wirtschaftssektoren auf die Landwirtschaft. Schweizer Landwirtschaft

Ein Wechselbad der Gefühle war es. Kommt es zum Abschluss oder nicht? Manch einer hörte bereits die Motoren der Lastwagen mit billigen spanischen Tomaten an der Grenze aufheulen. Bauernverbands-Präsident Hansjörg Walter stellte sich an diesem denkwürdigen letzten Wochenende im Juli vor seinen Traktor und erklärte den TV-Zuschauern – denen, die nicht in den Ferien weilten –,  was der Abschluss der laufenden WTO-Runde für die Schweizer Bauern bedeutet hätte. Massiver Einkommensrückgang, Abnahme der Bauernhöfe und vor allem: Viele billige Nahrungsmittel aus dem Ausland. Heute wissen wir: Der Abschluss der Doha-Runde scheiterte. Im letzten Moment, weil der indische Unterhändler kalte Füsse bekam. Offenbar fürchtete er sich davor, Millionen von indischen Kleinbauern mehr oder weniger sich selbst respektive den freien Marktkräften zu überlassen. Damit ist das Kapitel Doha-Runde wohl für längere Zeit erledigt.

Ökonomie und Ethik

Die Jubelschreie der Schweizer Bauern versiegten aber relativ rasch. Denn irgendwie weiss jeder: Zurückhalten lässt sich dieser Zug nicht. Trotzdem: Beim Thema Freihandel scheiden sich weiterhin die Geister. Und für den Betrachter von aussen ist es wahrlich nicht einfach, Position zu beziehen. Doch das wird er früher oder später müssen, denn die Aufnahme von Verhandlungen mit der EU über ein Freihandelsabkommen im Agrarbereich steht kurz bevor. Eine Volksabstimmung ist wahrscheinlich. Das komplexe Thema Freihandel wirft viele Fragen auf und liefert wenig klare Antworten. Wer will schon, dass ein Drittel der Schweizer Bauern aufgeben muss? Aber: die Schweizer Wirtschaft lebt in hohem Mass vom Exportgeschäft ausserhalb der Agrarbranche und würde von einem Abbau von Zöllen profitieren. Auch das leuchtet als Argument ein. Dabei gibt es die nüchterne sachliche Diskussions-Ebene, basierend auf der Aussenhandelstheorie des Ökonomen Adam Smith. Er sagte schon vor über 200 Jahren, dass ein Land aus volkswirtschaftlicher Sicht das Gut produzieren sollte, das es kostengünstiger produzieren kann als das Ausland. Jeder weiss, dass die Schweizer Landwirtschaft teurer produziert als ihre ausländischen Kollegen – aus was für Gründen auch immer. Aus theoretischer Sich also ein klarer Fall. Manchen ist das aber zu einfach: Denn, dass Plastikspielzeug heute in China produziert wird, kann man ja noch nachvollziehen. Doch sollen  Nahrungsmittel tatsächlich in den gleichen «Container» geworfen werden wie Metallschrauben? Die Diskussion verlagert sich somit auf eine ethische, oft sogar philosophische Ebene. Ohne Nahrung kein Leben. Das ist einfach so. Doch wie viel Nahrung aus dem eigenen Land ist nötig? Kann es nicht auch ein bisschen mehr aus dem Ausland sein? Wie egal kann es uns sein, ob dort Arbeiter unter erbärmlichen  Bedingungen in Baracken hausen und sich einen Deut um den Umweltschutz kümmern?

Wachstum als Pflichtaufgabe

Vor lauter Philosophieren darf man aber nicht vergessen, dass der Wachstums-Express weiterfährt. Sonst funktioniert das ganze Wirtschafts-System nicht. Eine Volkswirtschaft muss wachsen und mit ihr die Unternehmen. Und manche Firmen – beispielsweise Milchverarbeiter – finden nicht mehr genug Ware auf dem relativ kleinen Schweizer Markt um ihre Kapazitäten voll auszulasten. Das erzeugt Druck auf Branchen, die aus volkswirtschaftlicher Sicht nicht an erster Stelle stehen. Eine Öffnung der Agrarmärkte ist deshalb wohl unvermeidlich. Es geht eigentlich nur noch um die Ausgestaltung der Öffnung. Aktuell: Um das Freihandelsabkommen Schweiz-EU im Agrar- und Lebensmittelbereich (FHAL). Dabei wäre die EU gerade deshalb nicht der schlechteste Partner, weil die Anforderungen an Qualität und Ökologie dort doch ziemlich nahe bei denen in der Schweiz liegen. Grosse Städte im nahen Ausland bieten neue Absatzkanäle für Schweizer Qualitäts-Agrarprodukte, wenn auch – wegen des höheren Preises –  in eingeschränktem Mass.

Konsumenten entscheiden

Am meisten von einem Abkommen mit der EU betroffen wären bekanntlich arbeitsintensive Bereiche wie der Gemüse- oder Obstbau, vor allem wegen den im Vergleich höheren Lohnkosten. Diese Branchen wehren sich deshalb besonders stark gegen die Aufhebung des Grenzschutzes. Zu unrecht wie viele Befürworter behaupten, weil Schweizer Konsumenten und Konsumentinnen auch in Zukunft knackige Rüebli und Äpfel aus der teureren einheimischen Qualitätsproduktion kauften. Das kann sein, doch wissen tut das niemand. Denn dem widerspricht eigentlich eine andere ökonomische Theorie, die des Homo Oeconomicus, der sich vor allem rational verhält. Er würde ganz sicher auf den Preis schauen – und das günstigere Produkt aus dem Ausland kaufen.  Ethische Fragen folgen sogleich: Ist es eigentlich gerecht, dass sich nur noch besserbetuchte Leute Schweizer Qualitäts-Produkte kaufen könnten und sich die anderen mit billigen Tomaten aus der Plastikwüste Südspaniens begnügen müssten?

Interessante Diskussionen stehen uns also bevor. Extreme Positionen dürften aber einen schweren Stand haben: Alles aufgeben kommt ebenso wenig in Frage, wie der Strukturen erhaltende Status Quo. Letztlich muss die Schweizer Landwirtschaft einen Verfassungsauftrag erfüllen. Er bildet weiterhin den Grundpfeiler in der künftigen Ausrichtung der Schweizer Landwirtschaft, obwohl in der heutigen Zeit vieles von aussen bestimmt wird. Und: Ganz am Ende haben es die Konsumentinnen und Konsumenten in den Händen, welche Art von Produktion sie unterstützen möchten.

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