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Das Paradies mitten im Soja-Meer

colucci1Der argentinische Bauer Damian Colucci kehrt zu den Ursprüngen der Landbewirtschaftung zurück. Er schwimmt damit gegen den Strom in einem Land, das sich komplett der intensiven Biotech-Landwirtschaft verschrieben hat.

Die kleinen Ferkel rennen aufgeregt den Hühnern nach, die Vögel zwitschern auf den Obstbäumen und im Hintergrund wiehern die Pferde. Die Frühlingssonne erleuchtet das kleine Bauernhaus, die kühle Brise treibt das Windrad an. Kein Zivilisationslärm weit und breit stört hier in der argentinischen Pampa die Idylle. Übrigens auch kein Internet, wie wir später erfahren. «Mate?» fragt Damian Colucci seine Besucher zuerst. In Argentinien ist das wie bei uns die Kaffeepause. Nur trinken hier alle aus der gleichen Schale. Das Ritual sieht vor, dass der Gastgeber die getrockneten Mate-Baum-Blätter in der Kalebasse aufgiesst und den ersten Aufguss selbst trinkt, weil dieser der Bitterste ist. Danach wird immer wieder neu aufgegossen und das Gefäss untereinander weitergegeben. Während der Mate seine Runden macht, erzählt Colluci wie aus ihm, dem Stadtjungen aus Buenos Aires, ein Bauer wurde. Am Anfang stand ein Buch des japanischen Bauern und Philosophen Masanobu Fukuoka und seiner von ihm als «Nichts-Tun-Landwirtschaft» beschriebenen Anbaumethode. Seine Philosophie: Verschiedenste Pflanzen werde  kombiniert in einem ökologischen Gleichgewicht angebaut, das den Boden mit genügend Nährstoffen versorgt und die Nutzpflanzen vor Schädlingen schützt. Fasziniert von der Lektüre reiste Colucci Ende der 90iger-Jahre nach Japan und lernte dort neun Monate lang bei seinem grossen Vorbild. Er kam zurück nach Argentinien und wusste; so wollte er leben. In Eintracht und Respekt mit den natürlichen Abläufen und der Gewissheit, dass der Boden von Natur aus genug hergibt, wenn man ihn gewähren lässt.
Sein Vater kaufte ihm in der Region von Tandil – 400 Kilometer südlich von Buenos Aires – hundert Hektaren Land. Das war vor über zehn Jahren. Seither ist viel passiert in Argentinien. Eigentlich befindet sich das Land seit dem Staatsbankrott nach der Jahrtausendwende permanent in einer Wirtschaftskrise – unterbrochen von nur kurzen Erholungsphasen. Der Agrarsektor verschrieb sich total der vormals in Argentinien relativ unbedeutenden Soja, die der Landschaft seither mit ihren Monokulturen ihren Stempel aufdrückt. Die Landpreise sind nicht nur wegen des Sojabooms ins unermessliche gestiegen. Auch die hohe Inflationsrate von zurzeit zwanzig Prozent treibt die Nachfrage nach Land in die Höhe. Nur hier auf dem Bauernhof von Colucci ist die Zeit offenbar stehengeblieben. Doch der Schein trügt.

Selbstversorgung kommt zuerst

«Könnt ihr den Kunstdünger riechen?» Colucci zeigt auf einen benachbarten Acker. Die Soja dominierte Agrarindustrie hat sich auch in seiner Gegend eingenistet. Sie bildet das Gegenmodell zu seiner Bewirtschaftungsmethode: Gentechnisch verändertes Saatgut, Kunstdünger, chemischer Pflanzenschutz und dazu kaum eine Fruchtfolge. Bei ihm hingegen wachsen Weizen, Hafer, Mais, Kartoffeln, Gemüse, Zwischenfrüchte wie Klee oder Sorghum und vieles mehr, und gedüngt wird – wenn überhaupt – mit Hühnermist. Für Colluci ist alles, was mit Biotechnologie zu tun hat grundsätzlich des Teufels. Sie steht für ihn sinnbildlich für die fortlaufende Entfremdung des Menschen von der Natur, gegen die er sich hier so vehement stemmt. «Auf meinem Bauernhof geht es primär darum, genug Nahrungsmittel für meine Familie zu ernten», sagt Colluci. Getreu dem Fukuoka-Prinzip kauft er möglichst keine Produktions- und Nahrungsmittel von aussen zu und verzichtet grundsätzlich auf Produkte, die nicht einheimisch sind. Seine Lebenspartnerin Mariana Magneres und die zwei Kinder trinken das Wasser aus der eigenen Quelle oder Fruchtsäfte. Coca Cola sucht man hier also vergeblich. Die Tiere fressen nur eigenes Futter, das Saatgut für Gemüse und Ackerfrüchte vermehrt Colluci selbst. Beim Mais war das zu Beginn gar nicht so einfach, weil heute praktisch überall auf der Welt nur noch Hybrid-Sorten angebaut werden, die sich nicht selbst vermehren lassen. Ein alter Mann aus der Umgebung habe ihm eine alte, einheimische Maissorte gegeben. Heute baut er sieben Hektaren davon an, einen Teil davon verwendet er als Futter für seine Tiere.

Investoren kaufen Bauern das Land ab

colucci3Die Selbstversorgung steht beim «Businessmodell» von Colluci also an erster Stelle. Doch ein Blick nur schon ins Gewächshaus oder in die kleine Mühle zeigt: Hier bleibt am Schluss bestimmt noch einiges an Gemüse, Mehl aber auch Eiern von den 150 Hühnern für auswärtige Kundschaft übrig. Colluci schmunzelt: «Vor zwölf Jahren gab es hier noch nichts, heute leben wir hier im Überfluss.» Gemüse könnte er noch viel mehr verkaufen, sagt er. Auch mehr als die jährlich verkauften 15 Tonnen Weizenmehl, denn Weizen ist in diesem Jahr in Argentinien knapp und entsprechend teuer. Weil die Regierung den Export von Weizen mit hohen Zöllen belegt und mengenmässig einschränkt, bauen immer weniger Bauern in Argentinien Weizen an. Dafür umso mehr die kostengünstigere Soja, weil sie nur mit ihr – selbst mit den hohen Exportzöllen – auf den Weltmärkten noch Geld verdienen können. Die argentinischen Produzentenaugen sind voll auf die Rohstoffbörse in Chicago gerichtet. «Die Landwirtschaft in Argentinien wird nur noch als Investitionsobjekt betrachtet», sagt Colluci. Den eigentlichen Bauern gebe es hier bald nicht mehr, weil dieser sein Land bei den hohen Preisen lieber an Investoren verkaufe. Sein Vater kaufte das Land einst für 1500 Dollar pro Hektare. Heute ist das Land zehn Mal mehr wert. Colluci kümmert das nicht. Geld ist bei ihm nur Mittel zum Zweck. Selbst der Preis für einen Sack Weizen ist bei ihm praktisch gleich hoch, wie vor zwei Jahren, als es zu viel einheimischer Weizen gab und der Preis deshalb sehr tief war. Der Weizen sei doch der Gleiche geblieben, und die Produktionsweise bei ihm ja auch. Colluci zuckt mit den Schultern: «Weshalb sollte der Preis nun plötzlich höher sein?»

Mit Hafertraktoren auf dem Feld

colucci2Geld verdient Colluci mit dem Verkauf von Rindfleisch. «Die Rinder sind immer auf der Weide und geben wenig zu tun», sagt er. Sie passen gut zur von Fukuoka propagierten «Nichts-Tun-Landwirtschaft». Trotzdem: Wörtlich lässt sich das Prinzip des Japaners nicht auf diesem Betrieb anwenden. Denn Colluci arbeitet hier praktisch alleine, nur zwischendurch hilft ihm jemand beim Aussäen oder bei der Ernte. Er möchte arbeitstechnisch möglichst unabhängig bleiben. Zudem mangle es sowieso an fähigen Arbeitskräften, sagt er. Arbeit gäbe es reichlich: Im Obstgarten stehen gefühlte hundert Obstbäume aller Gattung von Nektarinen, Äpfeln, Birnen, Kirschen bis zu Oliven. Vorbei an Bienenkästen und an einem kleinen Eukalyptus-Wald für die Energieversorgung geht es aber erst einmal zurück in die heimelige Küche. Mariana ruft zum Mittagessen. Ihre ältere Tochter ist zurück aus der Schule, der gemeinsame kleine Sohn krabbelt zwischen den Hunden und Katzen von aussen herein. Die servierte Bohnensuppe schmeckt ausgezeichnet, das Brot aus dem eigenen Mehl dazu ebenso. An der Wand hängt ein Photo, das Colluci mit seinen sechs Pferden bei der Aussaat zeigt. Und damit wurde er bei der Nachbarschaft natürlich endgültig zum Exoten. Für ihn ist es normal: «Mit sechs Pferden säe ich pro Tag fünf bis sechs Hektaren Fläche aus.» Bei ihm passen die Pferde exakt zur Philosophie: Energie aus eigenem Futter anstatt aus zugekauftem Diesel. Nur beim eigenen Pickup ist er da etwas weniger konsequent. Diesen benötigt er zum Ausliefern der Mehlsäcke oder des Gemüses. Auch die Ernte und ein Teil der Bodenbearbeitung lässt er maschinell von einem externen Unternehmen durchführen. Und ohne Mobiltelefon geht es selbst bei ihm nicht. Definitiv kein Platz im Paradies ist für das Internet. Mariana lacht: «Sonst gibt es immer noch das Internetcafé in der Nähe». Kompromisse liegen also trotz allem drin. Biologisch Zertifiziert ist seine Produktion übrigens nicht, obwohl die Kriterien wohl übererfüllt wären. Die Gebühren seien zu hoch, sagt er. Für ihn persönlich sind solche Papiere aber sowieso nicht wichtig. Er hält es hier mit seinem Meister Fukuoka: Wer mit der Natur lebt, braucht keine Zertifikate.

colucci4Gelassenheit hilft

Bei einer weiteren Mate-Pause erzählt Colucci aus seinem Bauernalltag. Die Arbeit sei vor allem während der Vegetationszeit sehr hart und die Tage lang. Nichts da mit der von Fukuoka propagierten «Nichts-Tun-Landwirtschaft». Von Nichts kommt offenbar auch bei diesem Anbausystem nichts. Trotzdem wolle er weiterhin alleine wirtschaften. Für ihn ist der Ort auch Rückzugsgebiet: «So werde ich am wenigsten gestört.» Vieles habe er in den ersten Jahren einfach einmal versucht und geschaut, was auf den Böden überhaupt funktioniere. Rückschläge sind dabei ein Teil des Konzeptes. Garniert mit einer Prise Gelassenheit allerdings. Wenn sich der Kartoffelkäfer auf den Kulturen ausbreitet, dann stört ihn das nicht. «Die Ernte fällt dann einfach etwas geringer aus.» Das reguliere sich in der Regel von selbst und schon im nächsten Jahr sehe alles anders aus.
Zum Abschluss des Besuchs führt uns Colucci auf den Monte Callados, was so viel heisst wie schweigsamer Hügel. Vorbei an den Arbeitspferden, die sich für ihren nächsten Einsatz fit fressen, geht es zur Weide mit den Rindern. Der Muni grast zufrieden zwischen seiner Herde. Hier haben wir es, das Bild vom in der weiten Pampas weidenden argentinischen Beef, das sich die Schweizer so gerne vorstellen. Nur: Es ist selten geworden. Seit Argentinien innert kurzer Zeit zum drittgrössten Sojaproduzenten der Welt aufgestiegen ist, fehlt es an Gras für die Fütterung des Viehs. Als Konsequenz landen die argentinischen Rinder immer öfter nach amerikanischem Vorbild in Feedlots in Massentierhaltung, gefüttert mit Mais und Soja. Natürlich stört sich Colucci an dieser Entwicklung und an den Sojeros, die sich rund um seinen Betrieb breitmachen. «Ich kenne einige Leute, die es heute bereuen, voll auf die Karte Soja gesetzt zu haben», sagt Colucci. Sie seien heute Teil des agroindustriellen Systems und könnten nicht mehr zurück. Ihnen und der übrigen Bevölkerung will er beweisen, dass ein biologischer Weg möglich ist, ohne Chemikalien und Biotechnologie.
Draussen dunkelt es bereits ein. Vorbei an getrocknetem Beinschinken und aufgehängten Zwiebeln setzen wir uns zum letzten Mate des Tages in die Küche und lassen die Umgebung noch einmal auf uns wirken. Schon am nächsten Tag, wenn die Reise durch die intensiv bebaute monotone Soja-Landschaft weitergeht, werden wir uns fragen: Haben wir das etwa nur geträumt?

 

Veröffentlicht in Blog

Ein Kommentar

  1. Alois Steffen Alois Steffen

    Super idyllisch. genauso wie Bio von Coop in der Werbung dargestellt wird, aber bei uns wohl kaum mehr existiert. Sicher spannend, das in Natura zu sehen!

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