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Interview mit Eva Reinhard: Moderne Gentechnik als Chance

Der Aktionsplan Pflanzenschutzmittel soll bis Ende Jahr verabschiedet werden. Ein wichtiger Teil der Probleme im Pflanzenschutz wären aber bereits gelöst, wenn die heutigen Vorschriften konsequent durchgesetzt würden, sagt Eva Reinhard. 

Frau Reinhard. Die Gemüseproduzenten wissen zurzeit noch nicht, wie sie im Herbst Nüsslisalat ansäen sollen, weil der zugelassene Wirkstoff Napropamide offenbar zu wenig gegen das Unkraut wirkt. Sie fordern deshalb eine temporäre Zulassung von Proman, wie das in Deutschland der Fall ist. Weshalb ist das in der Schweiz nicht möglich?

Beim genannten Beispiel handelt es sich um eine befristete Zulassung für Notfallsituationen nach EU-Gesetzgebung. Theo-retisch wäre das auch in der Schweiz möglich, allerdings liegt kein Gesuch dafür vor. Voraussetzung für eine Zulassung für Notfallsituationen ist die Fixierung einer Rückstandshöchstmenge (MRL). In der EU liegt dieser in diesem Fall bei 0.01 mg/kg. Das ist sehr tief, die Schweizer Experten würden diesen gemäss den uns vorliegenden Daten im Nüsslisalat höher ansetzen.

Wäre nicht eine Bewilligung für geringfügige Verwendung nach Artikel 35 der Pflanzenschutzmittelverordnung (PSMV) möglich?

So eine ist nur möglich, für im Anhang der PSMV gelistete, zugelassene Wirkstoffe. Der Wirkstoff Metobromuron in Proman ist ein neuer Wirkstoff und muss deshalb zuerst vollständig überprüft und als wirksam und sicher eingestuft werden, bevor er im Anhang der PSMV gelistet werden kann. Für Metobromuron wurde in der Schweiz 2013 ein Gesuch gestellt, gleichzeitig zum Wirkstoff wurde auch ein Antrag für ein Produkt im Nüsslisalat gestellt. Es mussten diverse Nachforderungen gestellt werden, deshalb sind die Abklärungen noch im Gang.

Was braucht es sonst noch für eine Bewilligung für geringfügige Verwendung?

Wenn ein Produkt in einem EU-Staat zugelassen ist, kann dafür in der Schweiz gemäss PSMV eine geringfügige Verwendung beantragt werden. Dabei müssen eigentlich nur Daten vorgelegt werden, die beweisen, dass es in der EU für die entsprechende Indikation zugelassen worden ist.

Wie lange dauert dieses vereinfachte Bewilligungsverfahren?

Das hängt von den nötigen Abklärungen ab. Ausländische Anwendungsvorschriften müssen an die Schweizerischen angepasst werden, beispielsweise bei den Abstandsregelungen zu Gewässern, die sogar innerhalb der EU-Länder sehr unterschiedlich sind. In den letzten drei Jahren wurden 27 solche Bewilligungen erteilt, in Zucchetti beispielsweise das Herbizid Centium 36 CS. Das Gesuch wurde am 21.2.17 gestellt und bereits am 11.4.17 bewilligt.

Der Detailhandel schreibt den Lieferanten zunehmend die Verwendung von eigenen Listen von Pflanzenschutzmitteln vor, oft verwenden sie dafür eine Liste der Weltgesundheitsorganisation WHO mit «besonders gefährlichen» Wirkstoffen. Dort sind auch Methomyl und Tefluthrin drauf, die in der Schweiz noch zugelassen sind. Weshalb bewilligt das BLW Wirkstoffe, die international als besonders gefährlich eingestuft werden?

Die WHO-Liste wurde für Worst-Case-Situationen zusammengestellt für alle Länder dieser Welt. Darunter sind solche, in denen es keine Registrierungsbehörden gibt, die entsprechende Auflagen für das Ausbringen von Pflanzenschutzmitteln machen könnten oder die Anwender keine Möglichkeiten haben sich zu schützen. In der Schweiz sind wir hier natürlich in einer anderen Situation. Die Anwendung von Methomyl wurde bei uns nach der letzten Überprüfung stark eingeschränkt, weil man weniger toxische Alternativen hat. Das Tefluthrin ist in der Schweiz als Saatbeizmittel bei Zucker- und Futterrüben zugelassen. Das auch gegen den Maiswurzelbohrer wirksame Mittel erlebte in Europa in den letzten Jahren aber eine Wiederbelebung, als die Neonicotinoide verboten wurden. Diese Entwicklung ist fragwürdig, denn Tefluthrin ist für den Menschen wirklich giftig.

Drei Neonicotinoide wurden als «Bienengifte» aufgrund des öffentlichen Drucks verboten. Dafür kommt jetzt ein viel giftigeres Mittel zum Einsatz?

Das ist eine Schwachstelle im Vollzug, bei dem oft sehr auf den Einzelwirkstoff bezogen agiert wird. Man überlegt sich vielleicht zu wenig, was die Konsequenzen sind, wenn einem Wirkstoff die Zulassung entzogen wird. Man muss sich schon fragen, ob es richtig ist, die zwar tatsächlich bienentoxisch wirkenden Neonicotinoide durch einen alten Wirkstoff mit einem viel breiteren Wirkspektrum zu ersetzen, der dazu auch für den Menschen sehr giftig ist.

«Ich denke, es wird noch sehr lange dauern, bis man ganz auf Pflanzenschutzmittel verzichten kann.»

Die Ausbringung von chemischen Pflanzenschutzmitteln ist mit Risiken verbunden. Der Aktionsplan Pflanzenschutzmittel will auch hier ansetzen, und diese vermindern. Doch die Angaben zur Anwendung werden immer komplizierter. Viele Gemüseproduzenten verstehen Begriffe wie beispielsweise «FRAC C3» nicht. Gedenkt das BLW solche Informationen für die Anwender zu vereinfachen?

Diese Kritik höre ich in dieser Form zum ersten Mal. Die immer detaillierter werdenden Anwendungsvorschriften sind auch eine Folge des zunehmenden Drucks von aussen. Wenn wir nicht weitere Wirkstoffe verlieren wollen, müssen wir «komplizierter» werden im Sinne von noch «standortgerechter». Aber vielleicht ist es tatsächlich nötig, bessere Hilfestellungen zu erarbeiten. Vielleicht müssten wir einmal mit der Branche zusammensitzen, um herauszufinden, was verständlich ist und was nicht. Allerdings erwarte ich auch von der Branche selbst, dass sie dafür besorgt ist, dass ihre Mitglieder gut über die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln Bescheid wissen. Es muss nämlich nur ein Fehler passieren, und dann leidet die ganze Branche.

Manche Anwendungsvorschriften können von den Gemüseproduzenten inhaltlich nur schwer nachvollzogen werden. Weshalb beträgt die Wartefrist beim Insektizid Teppeki bei Tomaten 3 Tage und bei Gurken 7 Tage, obwohl bei letzterer eigentlich ein viel grösserer Verdünnungseffekt besteht?

Sie haben zwar Recht mir Ihrer Logik, wir beim BLW wenden aber eine andere an. Wir setzen immer bei den Tomaten und Gurken an, die schlussendlich auf dem Teller landen. Hier müssen die Grenzwerte eingehalten werden. Bei den Gurken war dies in den Tests eben erst nach sieben Tagen der Fall. Die längere Wartefrist leuchtet deshalb ein.

In den letzten Jahren haben viele Wirkstoffe ihre Zulassung verloren. Ist der chemische Pflanzenschutz ein Auslaufmodell?

Eine Landwirtschaft ohne chemischen Pflanzenschutz ist eine Vision. Der Aktionsplan Pflanzenschutzmittel will die Abhängigkeiten zwar reduzieren. Ich denke aber, dass es noch sehr lange braucht, bis man ganz auf Pflanzenschutzmittel verzichten kann. Gerade bei den Insektiziden kann ich mir das heute nicht vorstellen. Trotzdem gibt es Bereiche, beispielsweise bei den Herbiziden, wo man schon heute die Mengen ohne Einbussen zurückfahren kann. Der Aktionsplan sagt sehr explizit, dass die Risiken um 50 Prozent gesenkt werden sollen. Dabei geht es nicht nur um Mengen sondern auch um die Reduktion der Einträge ausserhalb der behandelten Parzellen.

Was sind die Alternativen zum chemischen Pflanzenschutz?

Technologisch sehe ich eine grosse Chance in der Anwendung der gentechnischen CRISP/Cas-Methode, bei der einzelne DNA-Sequenzen sehr gezielt bearbeitet werden können. Mit dieser Technologie können beispielsweise sehr effizient resistente Nutzpflanzen – auch Gemüse – gezüchtet werden. Grundsätzlich sehe ich in der Entwicklung von krankheitsresistenten und klimarobusten Züchtungen ein grosses Potenzial.

Passt das in die aktuelle «Gentechfreie» Ausrichtung der Schweizer Landwirtschaft?

Diese neuen Methoden können nicht mit der «früheren» Gentechnologie verglichen werden. Es handelt sich um moderne Zuchtmethoden, in denen keine artfremden Gene eingesetzt werden. Ich stelle fest, dass sich auch bei den bisher überzeugten Gentech-Gegnern die grundsätzliche negative Haltung etwas aufweicht. Wir stehen hier aber erst am Anfang der Diskussionen.

Vieles läuft trotzdem auf mehr mechanischen Pflanzenschutz heraus. Unterstützt das BLW hier entsprechende Projekte?

Wir unterstützen Projekte, welche die landwirtschaftliche Produktion nachhaltiger machen, dazu gehört auch der Pflanzenschutz. Wenn es um die Weiterentwicklung von vermarktbarer Technologie, wie z.B. Landmaschinen geht sind das Bundesamt für Umwelt (BAFU) oder die Kommission für Technologie und Innovation (KTI) die besseren Adressen.

Wie geht es weiter mit dem Aktionsplan Pflanzenschutzmittel?

Er sollte noch in diesem Jahr vom Bundesrat verabschiedet werden. In Kürze geht er in die Ämterkonsultation. Inhaltlich besteht trotz sehr unterschiedlichen Interessen Konsens und darauf bin ich stolz. Ein Problem könnten die fehlenden Ressourcen für die Umsetzung sein, vor allem in den Kantonen, welche die Massnahmen vollziehen müssen. Bereits heute fehlen ja die Leute, um die Einhaltung der aktuellen Gesetze zu überwachen. Denn eigentlich wäre ein wichtiger Teil der Probleme im Pflanzenschutz bereits gelöst, wenn nur schon die heutigen Vorschriften konsequent durchgesetzt würden.

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