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Stressfrei und früher in den Feierabend

Die Arbeitswirtschafterin Renate Spraul sorgt auf Gemüsebaubetrieben für mehr Arbeits­effizienz. Dabei geht es nicht nur um eingesparte Sekunden, die sich zu Wochen aufsummieren. Arbeitskräfte sparen Energie und meistern die langen Arbeitstage besser.

Renate Spraul beobachtet und hinterfragt Arbeitsschritte auf Gemüsebaubetrieben systematisch.

Ist beim Ernteteam auf dem Salatfeld viel Bewegung und Tempo drin, weiss Arbeitswirtschafterin Renate Spraul; hier stimmt vermutlich etwas nicht. «Nicht selten ist der Gemütlichere der Effizientere», sagt sie. Dieser schaut möglicherweise gezielter auf die zu erntenden Salate, schneidet genauer und muss weniger Umblätter abschneiden. Und greift überhaupt weniger oft hin als der Kollege, der ganz hektisch und vermeintlich schnell an der Arbeit ist. Renate Spraul schaut dann besonders genau hin, filmt beide und analysiert den Erntevorgang anschliessend akribisch genau. «Die Lösung steckt im Detail», erklärt sie. Es geht um Sekunden, die bei jedem einzelnen Salat unnötig verloren gehen. Aufs Jahr aufgerechnet werden daraus ganze Tage und Wochen, die mit weniger Übergabegriffen oder kürzeren Greifwegen eingespart werden können.

Renate Spraul deckt seit über 25 Jahren auf Gemüsebaubetrieben in Deutschland, der Schweiz und in Österreich solche Schwachstellen auf, die bei der täglichen Arbeit auftreten. Sie reist dort nicht selten mit dem Wohnmobil an, damit sie ganz nah dran ist. Der Redaktor traf sie im Januar am Rande des Weiterbildungsseminars für Arbeitnehmer im Gemüsebau in Steffisburg zum Interview.

 

Frau Spraul, wie geht es den Arbeitskräften auf den Gemüsebaubetrieben?

Renate Spraul: Das ist stark abhängig von der Betriebsstruktur und den vorhandenen Führungsqualitäten. Eine gute Versorgung in anständigen Unterkünften, faire Arbeitszeiten und gerechte Entlohnung sorgen dafür, dass die Leute am Tag die erwartete Leistung erbringen können. Betriebe haben deutlich weniger Probleme, ausreichend Arbeitskräfte zu bekommen, wenn sie gute Grundvoraussetzungen antreffen. Sind diese nicht gegeben, macht auch eine arbeitswirtschaftliche Beratung keinen Sinn. Es gibt verständlichen Widerstand, wenn bei den Arbeitsmethoden an einzelnen Sekunden gefeilt wird, wenn die Leute in der Nacht nicht schlafen können. 

Wie reagieren die Leute, wenn sie ihnen mit der Stoppuhr und der Filmkamera bei der Arbeit zusehen?

Einfach so neben jemanden hinstehen geht natürlich nicht. Das muss alles vorher abgestimmt sein. Ich will ja niemanden kompromittieren, sondern herausfinden, welche Art der Arbeitsausführung die effizienteste und damit eben auch die stressfreiste ist. Die betroffenen Menschen sollten erkennen, dass es auch für sie Vorteile bringt, wenn sie effizient an der Arbeit sind. Sie können so die langen Arbeitstage besser meistern oder haben möglicherweise früher Feierabend. Die Menschen auf den Betrieben wissen, dass ich niemanden kontrollieren will. Es geht darum, miteinander zu schauen, wie wir uns das Leben erleichtern können. 

Und der Gemüsebetrieb spart vor allem Kosten.

Nicht nur. Denn neben dem gesunkenen Arbeitsaufwand wirkt sich ein gut durchdachtes Arbeitsverfahren positiv auf die Qualität des Ernteergebnisses aus. Die Ernte­helferin sollte den Wunsch des jeweiligen Abnehmers kennen und muss auf dem Feld entscheiden, ob der Salat diesen Kriterien entspricht und geerntet werden kann. Erfüllen wir diese Ansprüche nicht, verkaufen wir die Ware nicht und alles war umsonst. Die Führungsperson muss sich deshalb genug Zeit nehmen, und der Hilfskraft aufzeigen, wie sie die Arbeit im Sinne des Betriebs und des Kunden am besten erledigen kann. Bei anspruchsvolleren Qualitätskriterien dauert eine fundierte Unterweisung inklusive Erklärung der Arbeitsausführung bis zu einer Stunde. Und letztlich sollte die Erntehelferin merken, dass ihr Job auch vom Betriebserfolg abhängt. 

Die Erntekräfte kommen oft aus dem Ausland und sprechen nicht deutsch oder französisch. Wie können die Führungspersonen hier sprachliche Barrieren durchbrechen? 

Solange es um reine Arbeitsabläufe geht, funktioniert das normalerweise sehr gut mit Pantomime oder Zeichensprache. Beispielsweise in dem ich erntefähigen Rucola dem qualitativ ungenügenden gegenüberstelle und entsprechenden Smileys platziere oder physisch den Daumen hebe oder senke (Siehe Bild rechts). Übrigens ist es sowieso nicht ideal, etwas vorzuzeigen und dabei zu sprechen, weil die Menschen entweder zuhören oder zugucken können aber nicht beides gleichzeitig. Noch eine Anmerkung zur Kommunikation: Es zeugt von Wertschätzung und Respekt für eine Person, wenn ich ein paar Wörter in ihrer Sprache beherrsche. 

Ernteteams sind nur so gut wie ihre Gruppenleiterinnen oder -leiter. Welche Personen eignen sich dafür?

Menschen werden nicht in die Führungsrolle hinein geboren. Andere zu kontrollieren, fühlt sich zu Beginn oft komisch an, vor allem wenn es noch Landsleute sind oder Menschen, die im selben Container wohnen. Es braucht grundsätzlich einen guten Umgangston und eine Kommunikation auf Augenhöhe, damit die Leute im Team die Hilfestellungen der Führungsperson auch annehmen können. Letztlich muss eine Gruppenleiterin dafür sorgen, dass die Arbeiten richtig ausgeführt werden und dazwischen korrigierend eingreifen. Damit das klappt, muss die Unterweiserin das gewünschte Arbeitsverfahren beherrschen und Unterschiede in der Ausführung erkennen können. Aus diesem Grund sollte die zu unterweisende Gruppe nicht aus mehr als sechs bis acht Leuten bestehen.

Was braucht es, damit die Führungskräfte auf dem Betrieb bleiben?

Ein etwas höherer Lohn allein reicht nicht aus, denn Geld ist nicht alles. Ein eigener Kühlschrank oder eine Kaffeemaschine auf dem Zimmer beispielsweise sind weiche Faktoren, die geschätzt werden. Der psychologische Druck ist oft sehr hoch. Gruppenleiterinnen und -leiter stehen in der «Sandwichposition» immer zwischen den Fronten. Unabdingbar ist deshalb die Rückendeckung durch die Betriebsleitung. 

Als Arbeitswirtschafterin analysieren Sie die Arbeitsplätze auch aus ergonomischen Kriterien. In welchen Bereichen auf den Gemüsebaubetrieben lauern die grössten Risiken für körperliche Belastungen?

Ganz klar auf den Feldern, wo viele Kulturen bodennah gepflanzt oder geerntet werden müssen. Dadurch ist das Herunterbeugen immer die Herausforderung. Die Transporte von Kisten mit der Ware sind eine andere Tätigkeit, die im Arbeitsalltag auf einem Gemüsebetrieb hohe körperliche Anforderungen stellt. 

Was braucht es, um Ausfalltage durch falsche Belastungen oder Unfälle zu reduzieren?

Auch hier können Abläufe so optimiert werden, dass weniger Bewegungen nötig sind, um den gleichen Arbeitsschritt auszuführen. Eine gute Rückenschule zum Thema Heben und Tragen unterstützt die Menschen zusätzlich. Doch es geht noch um viel einfachere Dinge: Passende und gute Knieschoner sind beispielsweise ganz wichtig. Zudem braucht es gutes Werkzeug, das leicht zu bedienen ist. Handschuhe sind auch so ein Thema, die sollten an die Handgrösse angepasst sein. Ich erlebe es immer wieder, dass Handschuhe nur in XL-Grösse vorhanden sind, weil die für die Bestellungen zuständige Büroperson grosse Hände hat. 

Welche Rolle spielt hier das Licht in den Innenräumen?

Genug Licht führt zu einer erheblich besseren Arbeitsleistung. Denn es erfordert von der Arbeitskraft nicht unnötig Energie für die Konzentration, um den Lichtmangel auszugleichen. Es ist nachgewiesen, dass die Fehler- und Unfallquoten deutlich geringer sind, wenn das Licht stimmt. In Kühlhäusern sind oft nur die Gänge beleuchtet anstatt auch über den Paletten. Dort können die Mitarbeitenden dann in der Dunkelheit die Packzettel und Beschriftungen nicht mehr richtig lesen, zusätzliche Bewegungen sind nötig und es passieren mehr Fehler. Zudem nimmt die Sehfähigkeit im Alter ab. Ein 50-Jähriger braucht doppelt so viel Licht wie ein 40-Jähriger, um das Gleiche erkennen zu können. 

Haben Sie schon Betriebe angetroffen, wo sich arbeitswirtschaftlich nichts mehr optimieren liess?

Es gibt tatsächlich Betriebe, die schon sehr weit sind und aus arbeitswirtschaftlicher Sicht schon an jeder Schraube gedreht haben. Gerade da macht meine Arbeit aber wiederum Spass, weil die Menschen dieses Prinzip des immer Effizienterwerdens als Aufgabe sehen und auch selbst Freude daran haben, Arbeitsschritte immer weiterzuentwickeln und zu diskutieren. 

Kontakt: renate.spraul@t-online.de

Veröffentlicht in Blog

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